Die Sicht der Dinge



        0. Inhalt

                0. Inhalt
                1. Motivation
                2. Die erste Erkenntnis
                3. O.k., ich bin ein Mensch aber was nun?
                4. Der Mensch beginnt zu denken
                5. Das Denken geht weiter
                6. Ein Beispiel: Die Gerüchteküche explodiert
                7. Was soll oder kann man also glauben?
                8. Spielt es überhaupt eine Rolle, woran ich glaube?
                9. Gibt es noch weitere 'viel wichtigere aktuelle Tagesthemen'?
                10. Also: wie ist das mit dem Leben nach dem Tod?
                11. Die Leute erzählen noch weitere Geschichten
                12. Die Geschichten passen nicht so recht zusammen
                13. Die Geschichten sind noch nicht zuende
                14. Die Widersprüche treten allmählich in den Hintergrund
                15. Der klare Nachthimmel bringt den Stein ins Rollen
                16. Endlich: ein Mann spricht mir 'aus der Seele'
                17. Ein paar weitere Randbemerkungen
                18. Mein Schlusswort
                19. Ein paar Literaturangaben


        1. Motivation

        Am 22.10.2007 habe ich bei der Gemeinde Oberhaching eine
        Kirchenaustrittserklärung abgegeben. Im Einzelnen bestanden
        meine Erklärungen aus folgendem:

        Rechtliche Zugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgemeinschaft
        oder Weltanschauungsgemeinschaft:

                evangelisch

                Ich trete aus der angegebenen Kirche aus.

        Die Standesbeamtin hat meine Erklärung entgegengenommen und nach
        Zahlung von 31,00 Euro war der Vorgang offiziell abgeschlossen.

        Um zumindest für mich selber und ggf. Teile meiner Umwelt einige der
        hinter diesem Entschluss stehenden Überlegungen und Vorgänge
        festzuhalten, hielt bzw. halte ich es für angebracht, ein paar
        schriftliche Notizen zu machen. Bevor ich soeben mit dem Schreiben
        begonnen habe, hat mich mein Computer mit einem zum Thema sehr gut
        passenden Spruch begrüsst. Man muss dazu wissen, dass ich ein
        Programm auf dem Computer installiert habe, welches jedes mal, wenn
        sich jemand anmeldet, einen mehr oder weniger schlauen Spruch auf
        dem Bildschirm ausgibt. Diesmal hat er so geheissen:

        Weiner's Law of Libraries:

                There are no answers, only cross references.


        2. Die erste Erkenntnis

        Egal, ob es um elementare (menschliche) Empfindungen oder Gedanken
        geht oder ob wir uns mit wissenschaftlichen Themen beschäftigen oder
        mathematische Zusammenhänge niederschreiben und diskutieren oder ob
        wir geistige Themen behandeln und im sprichwörtlichen Sinne nach
        'Gott und der Welt' fragen, immer ist es jeder einzelne konkrete Mensch
        selber, der sich mit der Materie beschäftigt. Wenn wir bei klarem
        Verstand sind, können wir uns einbilden, zu verstehen (oder auch nicht
        zu verstehen), wovon wir reden. In jedem Falle aber ist ja zunächst
        einmal überhaupt nicht klar, ob unsere Gedanken tatsächlich den zu
        besprechenden Themen angemessen sind, oder ob wir als Menschen vom
        Prinzip her nur eine gewisse 'Einbildung' haben, die aber mit dem,
        was wir als Realität vermuten / bezeichnen, vielleicht nur wenig
        gemein hat.

        Das hat jetzt evtl. ein wenig abgehoben geklungen aber Fakt ist, dass
        wir, nachdem wir zunächst gar nichts über den Menschen selber wissen,
        gar nicht vernünftig beurteilen können, ob die Gedanken, die ein
        Mensch hat, irgend etwas bedeuten bzw. was sie ggf. bedeuten könnnten!

        Man bemerkt, dass man auf diese Weise sofort in einer Sackgasse landet.
        Wir haben also wohl nur die Möglichkeit, uns erst einmal ganz zuhig
        hinzusetzen, keine grossen Fragen zu stellen und uns ganz elementar
        auf uns selber zu konzentrieren: ich bin also ein Mensch. Wir wissen,
        wie gesagt, zunächst einmal gar nicht, was das bedeutet, aber im Laufe
        unseres Lebens hat die Biologie (in Form vererbter Eigenschaften
        über die Eltern) und die gesamte restliche Umwelt offenbar dazu geführt,
        daß wir uns jetzt einbilden können, ein Mensch zu sein. Wenn ich sage
        'einbilden', klingt das natürlich etwas merkwürdig. Nein, in der Tat
        bin ich mir sicher, ein Mensch zu sein.
        
        Diese (triviale) Erkenntnis ist meiner Meinung nach erst einmal alles,
        was wir haben. 


        3. O.k., ich bin ein Mensch aber was nun?

        So, ich habe also gelernt, dass ich Hunger habe, wenn ich etwas zum
        Essen brauche, ich habe vielleicht Angst vor Krankheiten oder einer
        unsicheren Zukunft, ich freue mich über Dinge, die mir gelungen sind
        oder wenn ich mich mit anderen Menschen austauschen kann. Damit
        könnten wir ja eigentlich zufrieden sein und die Geschichte wäre an
        dieser Stelle zuende. Nein, nicht die ganze Geschichte aber der
        interessante Teil der Geschichte. Ich (und jeder andere Mensch auch)
        würde wohl das Leben 'ganz normal' weiterleben mit all den Höhen und
        Tiefen, bis dann eines Tages das natürliche Lebensende eintritt.

        Und in der Tat ist dies auch alles, was man als Aussenstehender über
        das hier stattfindende Leben berichten kann: der Mensch wird gezeugt,
        geboren, lebt eine Zeit lang und stirbt. Es ist kein Unterschied zu
        erkennen zwischen 'vorher' und 'nachher'. Das Wirken des Menschen
        findet hauptsächlich während seines Lebens statt, mit ein paar kleineren
        Ausnahmen: schon vor der Zeugung freuen sich die Eltern evtl. auf
        ihr zukünftiges Kind und nach dem Tod sind die Mitmenschen meist
        traurig, dass der Mensch nun nicht mehr da ist.

        Also doch: endlich Ende der Geschichte.


        4. Der Mensch beginnt zu denken

        Niemand wird bestreiten können, dass der Lebensweg der meisten
        Menschen abläuft, wie eben skizziert, auch wenn es gelegentlich
        Abweichungen gibt: manchmal freuen sich die Eltern nicht über ihr
        Kind, manche Menschen freuen sich, wenn andere sterben aber der
        normale Vorgang ist das nicht.

        Betrachten wir also den 'normalen' Vorgang. Ohne 'Denkapparat'
        wäre der Mensch wohl einfach mit einem Tier zu vergleichen: es
        gäbe sozusagen nur die 'niederen Instinkte' und der Mensch hätte
        also keine Gelegenheit, in irgend einer Form über sich und das
        Leben nachzudenken. Nun hat der heutige Mensch aber ein mehr oder
        weniger gut ausgestattetes Gehirn und eine der herausragenden
        Eigenschaften des denkenden Menschens ist offenbar, dass er alle
        möglichen Fragen stellt. Die vielen Fragen, die man sich so
        ausdenken kann, lassen sich z.B. in folgende zwei Kategorien
        einteilen:

        1. Wie funktionieren die Dinge, d.h. wie spielen sie zusammen?
        2. Wo kommen die Dinge überhaupt her bzw. warum sind sie da und
           warum sind sie so, wie sie sind?

        Mit den 'Dingen' sind  hier im weitesten Sinne alle möglichen
        Erscheinungsformen der physikalisch 'greifbaren' Welt gemeint, so
        wie sie der Naturwissenschaftler beschreibt, d.h. alle 'Dinge',
        die unmittel- oder mittelbar irgendwie beobachtet werden können,
        die also nachweislich irgendwie dieser Welt zuzuordnen sind.

        Obige Fragen (vor allem die aus der Kategorie 1) entspringen zunächst
        allerdings keinem Selbstzweck, sondern haben damit zu tun, die
        'niederen Instinkte' zu befriedigen: ich will keinen Hunger haben,
        ich brauche ein Dach über dem Kopf, ich will vielleicht tolle Urlaubs-
        reisen machen. Von ganz allein wird sich die Welt um mich herum wohl
        kaum um diese Dinge kümmern. Ja, solange man Kind ist, sorgen wohl
        die Eltern für mich aber später muss ich das selber machen. Also wird
        es von Vorteil sein, wenn ich ein paar Zusammenhänge begriffen habe:
        wenn ich im Frühjahr ein paar Kartoffeln in die Erde stecke, werde ich
        im Herbst ein Vielfaches an Kartoffeln ernten können und habe wieder
        etwas zu essen. In der heutigen Welt muss sich natürlich nicht mehr
        jeder Mensch selber in diesem direkten Sinne um seine Nahrung kümmern.
        Das geschieht dann auf indirekte Weise: wenn ich mir die Erfahrungen,
        das Wissen und die (wissenschaftlichen) Erkenntnisse, die andere
        Menschen gemacht haben, zu eigen mache, kann ich das 'Weltgeschehen'
        mit recht grosser Wahrscheinlichkeit so beeinflussen, dass für mich
        etwas dabei herausspringt, sprich, ich kann dann höchstwahrscheinlich
        einen Beruf ausüben, der es mir erlaubt, die oben erwähnten 'niederen
        Instinkte' zu befriedigen.


        5. Das Denken geht weiter

        Mit diesen ersten 'Denkschritten' sind wir also schon ein ganzes
        Stück vorangekommen aber trotzdem ist die Welt damit immer noch
        lange nicht in Ordnung. Ein Problem ist, dass wir es trotz grösster
        Anstrengung und Anwendung selbst der aktuellsten, uns im Moment
        verfügbaren (wissenschaftlichen) Erkenntnisse nicht in jedem Fall
        schaffen, unsere Ziele zu erreichen. Eine Krankheit ereilt uns, obwohl
        wir doch vernünftig leben. Ein Verkehrsunfall ereignet sich und wir
        sind machtlos gegen dessen Folgen.

        Welche Möglichkeiten haben wir also? Wie sollen und können wir auf
        diese Herausforderung reagieren? Nun, die Art unserer Reaktion wird
        wahrscheinlich davon abhängen, wie schlimm wir betroffen sind.
        Wenn's nur ein kleiner Blechschaden war, werden wir das evtl.
        hinnehmen und gar nicht weiter nachdenken oder gar an der Welt
        verzweifeln. Wenn's aber dramatischer ausgeht, werde ich womöglich
        ins Grübeln kommen: warum musste der geliebte Mensch sterben?
        Hätte man das nicht verhindern können? Warum betrifft das
        ausgerechnet mich? Diese Fragen sind wohl ganz natürlich aber
        nachdem wir oben vorausgesetzt hatten, dass es eben trotz 'Anwendung
        selbst der aktuellsten, uns im Moment verfügbaren (wissenschaftlichen)
        Erkenntnisse' zu dieser nicht gewollten Situation gekommen ist, macht
        uns das erst mal ziemlich ratlos.

        Spätestens an dieser Stelle kann es passieren, dass der Mensch nun
        trotzdem versucht, eine irgendwie geartete Lösung des Problems zu
        finden, obwohl oder gerade weil die Wissenschaft bzw. Vernunft (zumindest
        im Augenblick) keine praktikablen Angebote mehr auf Lager hat.
        
        Man mag dieses Verhalten dann 'unvernünftig' nennen aber dem Menschen
        erschliesst sich einfach keine andere Möglichkeit. Die Arten dieser
        derart praktizierten 'Unvernunft' können dabei sehr vielfältig sein.

        Ein kleines Kind, welches sich vor den Eltern verstecken will, hält
        sich vielleicht einfach die Augen zu, um nicht mehr gesehen zu werden.
        Das ist vielleicht seine letzte Möglichkeit auszureissen, denn für's
        physische Wegrennen reicht's halt einfach nicht, d.h. es hat alle
        verfügbaren 'vernünftigen' Massnahmen der Flucht ausgeschöpft. Als
        Erwachsene durchschauen wir das natürlich und finden das vielleicht
        sogar noch amüsant.

        Die Geschichte mit dem AIDS-kranken Afrikaner, der meint, durch den
        Geschlechtsverkehr mit einer (gesunden) Jungfrau könne er geheilt
        werden, finden wir aber gar nicht lustig. Dennoch ist wohl auch
        dieser Mann zu dem Entschluss gekommen, dass dies wohl sein letzter
        Ausweg sei.

        Was können wir daraus lernen? Im wesentlichen dies: je besser wir über
        die Zusammenhänge in dieser Welt Bescheid wissen, desto grösser ist
        die Chance, vernünftige und für alle Seiten sinnvolle Entscheidungen
        zu treffen. Unwissen oder (blinder) Glaube an rational nicht hinterfragte
        Rituale oder Konventionen bergen die grosse Gefahr verheerender
        Fehlentscheidungen. Wir müssen daher alles daran setzen, dass wir
        unseren Verstand so gut es nur geht einsetzen, um über diese Welt so
        viel wie möglich zu erfahren. Alles andere wäre grober Leichtsinn!


        6. Ein Beispiel: Die Gerüchteküche explodiert

        Anhand einer kleinen Szene, die ich vor kurzem in der S-Bahn erlebt
        habe, möchte ich andeuten, wie schnell es offenbar passierenen kann,
        dass die (nicht sofort zugängliche) Wahrheit einfach verschüttet wird
        und durch ein Sammelsurium von sich zum Teil widersprechenden Aussagen
        ersetzt wird.

        Ausgangssituation war, dass sich die Abfahrt eines S-Bahnzugs unerwartet
        verzögerte. Nach wenigen Minuten Wartezeit wurde eine kaum wahrnehmbare
        Lautsprecherdurchsage (eigentlich war's eher eine 'Leissprecherdurchsage')
        gemacht. Kurz darauf habe ich gehört, wie sich andere Fahrgäste miteinander
        über die Situation unterhalten haben: von 5 Minuten Verzögerung bis zu
        einer halben Stunde unfreiwilligem Aufenthalt oder sogar von Feuer in
        einer der Haltestellen war die Rede, obwohl das bestimmt nicht der
        Durchsage zu entnehmen war. Ich war wirklich erstaunt, mit welcher
        Selbstverständlichkeit bzw. Sicherheit plötzlich diese Erklärungen im
        Raum standen, obwohl doch keiner wirklich wissen konnte, was tatsächlich
        geschehen war.

        Die Folgen, die sich für einen Fahrgast nun daraus ergeben, wenn er
        eine dieser 'erfundenen' Meldungen heranzieht anstatt der 'Leissprecher-
        durchsage' sind in diesem Falle höchstwahrscheinlich nicht besonders
        gravierend. Das Interessante an diesem Beispiel und das ist der Punkt,
        auf den ich hier hinaus will, ist aber der, dass es mitunter anscheinend
        ganz schnell passiert, dass die 'Wahrheit' verloren geht und stattdessen
        die reine menschliche Phantasie an ihre Stelle tritt. Da muss noch nicht
        einmal böse Absicht irgend einer der beteiligten Personen dabei sein. Es
        liegt offenbar in der menschlichen Natur, dass so etwas passiert: es hat
        möglicherweise nie wirklich gebrannt aber die Aussage steht im Raum und
        wird von anderen Fahrgästen vielleicht zunächst für wahr gehalten und
        ggf. weiterverbreitet.


        7. Was soll oder kann man also glauben?

        Die Geschichte mit der S-Bahn macht eines sehr deutlich: es kann
        mitunter sehr schwierig sein, die 'Wahrheit' zu erkennen. D.h. der
        Mensch steht eigentlich ständig und bei jeder Gelegenheit vor der
        Frage, was er von dem oder jenem Umstand oder der oder jener Aussage
        halten soll. Ein gesunder Mensch (einer, der also z.B. nicht unter
        Halluzinationen leidet) kann sich zunächst einmal lediglich von
        ein paar ganz wenigen Dingen selber überzeugen, nämlich von denen,
        die er unmittelbar erfährt. Wenn er einige Bierchen in der Kneipe
        trinkt, glaubt er wahrscheinlich, dass ihm das schmeckt, er weiss es
        vielleicht sogar. Schon am nächsten Morgen ist die unmittelbare
        Erfahrung nicht mehr gegeben und er glaubt jetzt vielleicht sogar,
        dass die Bierchen gar nicht so gut waren! Aber Spaß beiseite, die
        allerwenigsten Dinge können wir auf diese direkte Weise selber
        erfahren. Die meisten Sachverhalte erreichen uns auf indirekte Weise:
        andere Menschen erzählen uns oder schreiben uns (in Büchern) etwas
        auf und wir können das glauben oder auch nicht. Es ist zunächst gar
        nicht klar, nach welchen Massstäben wir unseren 'Glauben' orientieren
        sollen. Wir haben nur wenige Möglichkeiten: entweder ein bestimmter
        Sachverhalt ist uns eh egal, dann kümmern wir uns ggf. gar nicht
        darum. Oder wir wollen wissen, wie es um eine Sache steht. Wenn dann
        alle Leute, die wir für vernünftig halten und von denen wir glauben
        können, dass sie sich mit dem Thema auskennen, die gleiche Meinung
        haben, dann werden wir wohl geneigt sein, diese Meinung auch zu der
        unsrigen zu machen.

        Diese Strategie kann natürlich auch mal schiefgehen aber wenn irgend
        möglich, sollten wir die wirklich kompetenten Leute befragen, anstatt
        uns von irgend einem Scharlatan in die Irre führen zu lassen.

        Im Laufe der Menschheitsgeschichte zeigt sich nun, dass es vor allem
        die Denker, (Natur-)Forscher und Wissenschaftler waren und sind, die
        durch ihr unermüdliches Fragen und Experimentieren der Natur immer
        wieder neue Anworten entlocken. Interessanterweise tauchen aber auch
        laufend immer wieder neue Fragen und Geheimnisse auf, die ungeklärt
        sind. Dies kann aber natürlich kein Grund sein, das Fragen für beendet
        zu erklären. Im Gegenteil, die einzig vernünftige Massnahme ist, zu
        versuchen auch die neuen Fragen wieder zu beantworten.

        Das kann man gut oder schlecht finden, Fakt ist jedenfalls, dass es
        genau nur auf diese Weise gelungen ist, dass wir heute von unserer
        Welt mehr wissen als je zuvor und dass viele Fragen, die früher völlig
        ungelöst waren, heute schon von jedem Kind beantwortet werden können.

        Auf diese Weise ist man im Moment z.B. in der Astrophysik zu der
        Ansicht gekommen, dass sich unsere gesamte Welt mit allem wie sie
        heute ist, vor sehr langer Zeit (mehrere Milliarden Jahre) irgendwie
        aus einem einzigen winzigen Punkt heraus zu dem entwickelt hat, wie
        sie heute ist. Das klingt in der Tat mehr als abenteuerlich und
        sprengt jedes menschliche Vorstellungsvermögen aber dennoch ist
        man sich unter den Wissenschaftlern einig, dass die Indizien genau
        für diese Vorstellung sprechen.

        Die Geschichte der letzten paar Jahrhunderte hat ja z.T. auch
        eindrucksvoll gezeigt, welch schwierige Kämpfe es gelegentlich
        gegeben hat, die 'Wahrheit' zu ergründen. Das geozentrische Weltbild
        z.B. hat halt dann doch irgendwann abdanken müssen, nachdem
        insbesondere die Vorhersagen über bestimmte Himmelsereignisse so
        perfekt waren, dass man nicht mehr anders konnte, als den Leuten zu
        glauben, die die Sonne in den Mittelpunkt gesetzt haben.


        8. Spielt es überhaupt eine Rolle, woran ich glaube?

        Zuletzt haben wir also gesehen, dass es sehr schwierig sein kann, die
        'Wahrheit' zu finden und in der Tat wird es manchmal gar nicht möglich
        sein, zu entscheiden, was die 'Wahrheit' nun ist. Insbesondere bei
        Fragen, die man grundsätzlich niemals anhand eines Experiments oder
        sonstiger direkter oder indirekter Beobachtungen beantworten können
        wird, stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, weiter drüber
        nachzudenken. Wenn es sich sozusagen um rein philosophische Fragen
        handelt, kann es natürlich aus philosophischer Sicht sehr interessant
        sein, sich damit zu beschäftigen. Wenn ich aber aus der Beantwortung
        eben dieser philosophischen Fragen keinerlei praktischen Nutzen ziehen
        kann, ist die Frage aus 'lebenspraktischer' Sicht eigentlich irrelevant.

        Ich könnte mich z.B. dafür interessieren, ob gestern irgendwo in China
        ein Sack Reis umgefallen ist. Möglicherweise ist das sogar geschehen,
        vielleicht aber auch nicht. Im übrigen ist das eine Frage, wo man sich
        noch vorstellen könnte, dass sie auch prinzipiell beantwortbar ist.
        Bloss müsste man halt etliche Chinesen befragen und das könnte halt
        etwas länger dauern. Aber egal, ob der Sack Reis gestern umgefallen ist
        oder nicht, hat das auf mein Leben (und das der meisten anderen
        Menschen auch) offenbar keinen erheblichen Einfluss. Wenn mir
        langweilig ist, kann ich diesen Sack in mein tägliches Leben einbauen
        und den ganzen Tag über sinnieren, ob dadurch die gesamte Weltordnung
        nicht doch ins Wanken geraten ist. Als vernünftiger Mensch werde
        ich das Thema aber so schnell wieder vergessen, wie es aufgetaucht ist
        und mich wieder den viel wichtigeren aktuellen Tagesthemen widmen.

        Für mein Leben viel wichtigere Fragen sind z.B. die weiter oben schon
        erwähnten Fragen der Befriedigung der 'niederen Instinkte'. Die
        korrekte Beantwortung dieser Fragen hat sehr wohl eine große
        Bedeutung. 'Ungeschickte' Antworten können sich dabei auf mein Leben
        äußerst negativ auswirken, z.B. wenn ich etwa glaube, ich müsste
        stark befahrene Strassen oder sogar Autobahnen zu Fuß überqueren, ohne
        nach links oder rechts zu schauen. Dies könnte meinem Leben ein
        unerwartet frühes Ende bereiten!

        Es spielt für mein Leben hier also durchaus eine entscheidende Rolle,
        woran ich im täglichen Leben so glaube.

        Übrigens: wenn wir hier davon reden, ob es wichtig ist, im Leben hier
        an dies oder jenes zu glauben, dann ist damit immer gemeint, ob es
        wichtig für mein oder allgemein unser Leben ist. Es könnte auf der
        Welt ja noch weitere Fragen geben, die in irgend einem uns ggf. gar
        nicht bekannten Sinne viel wichtiger sind, als alles, was uns kleine
        Menschen überhaupt jemals betreffen könnte. Ich meine, es könnte ja
        Fragen oder Themen geben, die uns Menschen gar nicht betreffen oder
        wo wir eine derart untergeordnete Rolle spielen, dass man uns gar
        nicht berücksichtigen kann oder will. Von solchen Fragen ist hier
        aber nicht die Rede.


        9. Gibt es noch weitere 'viel wichtigere aktuelle Tagesthemen'?

        Wenn man sich das genau überlegt, geht es eigentlich immer noch um die
        Befriedigung der 'niederen Instinkte'. Ja, seit der Mensch begonnen
        hat, zu denken, hatten zunächst die weiter oben erwähnten Fragen der
        Kategorie 1 (Wie funktionieren die Dinge, d.h. wie spielen sie
        zusammen?) eine ganz wesentliche Rolle gespielt, weil die Beantwortung
        dieser Fragen schon einen deutlichen Komfort in das tägliche Überleben
        gebracht hat.

        Gleichzeitig aber tauchen schliesslich die Fragen aus Kategorie 2
        auf: wo kommen die Dinge überhaupt her bzw. warum sind sie da und
        warum sind sie so, wie sie sind?

        Diese Fragen drängen sich geradezu auf, weil wir oben gesehen hatten,
        dass man mit dem täglichen Leben immer noch Probleme hat, selbst bei
        bestmöglicher Beantwortung der Fragen aus Kategorie 1.

        Ob es überhaupt sinnvoll ist, die Fragen aus Kategorie 2 zu stellen,
        ist nicht klar. Klar ist nur, dass man als Mensch geneigt ist, sie
        zu stellen. Man hat bei den Fragen aus Kategorie 1 gelernt, dass es
        sehrwohl nützlich ist, Zusammenhänge, also das Prinzip von Urasche und
        Wirkung zu erkennen, um daraus für das tägliche Leben Nutzen zu ziehen.
        Weil das (zumindest teilweise) so erfolgreich war, ist man geneigt,
        sozusagen nach der letzten Ursache zu suchen, um den Rest vielleicht
        doch noch (besser) zu verstehen. Fakt ist aber auch, dass heute kein
        Mensch erklären kann, wo die Welt herkommt, so interessant das auch
        wäre. Ebensowenig kann man einen offensichtlichen Nutzen oder Grund
        für die Existenz der Welt sehen. Es hätte ja vielleicht auch gar
        nichts geben können. Man fragt sich, warum dies nicht der Fall ist.
        Letztendlich wird es aber so sein, dass wir die Existenz der Welt
        einfach akzeptieren müssen, ob es uns passt oder nicht, Punkt.
        Jeder Mensch, der sich wirklich ernsthaft hinstellt und behauptet, dass
        er weiss, wie das alles zusammenhängt, ist entweder krank, will uns
        bewusst anlügen oder lügt sich selber an. Natürlich steht man staunend
        da, wenn man das alles so sieht: die vielen Elemtarteilchen mit ihren
        merkwürdigen Eigenschaften, ein so riesiges Weltall und irgendwo
        da drin ein etwas abgekühlter Gesteinsball mit einer Sauerstoffhülle,
        auf dem sich die Atome und Moleküle in so merkwürdiger Anordnung
        zusammengefunden haben und immer wieder zusammenfinden und ihr
        merkwürdiges Spielchen treiben, das wir Leben nennen.

        So, eigentlich hätten wir damit so alle 'wichtigen aktuellen
        Tagesthemen' durch und müssten wohl endlich zur ganz normalen
        Tagesordnung übergehen, wäre da nicht noch so eine Kleinigkeit, um die
        sich die Menschen wohl auch schon immer Gedanken gemacht haben: was
        wird sein, wenn ich gestorben bin? Und es scheint so, als überstrahle
        diese Frage mit ihrer Grösse viele der anderen 'wichtigen aktuellen
        Tagesthemen'


        10. Also: wie ist das mit dem Leben nach dem Tod?

        Um das gleich vorweg zu klären: ich maße mir nicht an, bei dieser
        Frage besser Bescheid zu wissen, als alle anderen Menschen. Ich
        werde lediglich versuchen, meine Sicht der Dinge darzulegen und will
        versuchen, dies so 'vernünftig' wie möglich zu tun.

        Als Schüler, so etwa in der 10-ten Klasse, habe ich vor vielen Jahren
        im Chemieunterricht erfahren, dass alles auf der Welt aus Atomen bzw.
        Molekülen aufgebaut ist, wirklich ALLES. Das war für mich ein Schock.

        Ja, das Wasser kann meinetwegen H2O heissen, der Sand SiO2 aber dass
        auch ich selber aus nichts weiter bestehe als aus diesen billigen
        Bausteinen, das war hart. Ich habe mich beim Lehrer und bei meinen
        Eltern nochmal versichert: ja, das ist so. Das haben die Wissenschaftler
        herausgefunden. O.k., wenn man mich nicht gleich in Atome zerlegt,
        sondern die grösseren Moleküle heil lässt, dann wird's vielleicht
        nicht ganz so billig, denn ein paar Substanzen wären ganz schön teuer,
        ein kleiner Trost also...

        Was sollte ich machen? Ich musste es akzeptieren: nur lauter Atome und
        Moleküle. Und meine Gedanken und Gefühle, wo kommen die dann her? Die
        waren und sind ja trotzdem da. Wie kann das sein? Spürt das Wasser
        vielleicht auch etwas? Kann der Sand vielleicht auch denken und es
        merkt bloss keiner? Viele Fragen schossen mir durch den Kopf aber
        wirklich erklären konnte mir kein Mensch, wie das alles gehen sollte.

        Wenn ich als Kind einen Nachmittag lang vor meinem Metallbaukasten saß,
        konnte ich aus einfachen Teilen komplizierte Apparate bauen: einen Kran
        oder ein Auto, letzteres vielleicht sogar mit einem Differentialgetriebe
        (da hat mir aber dann mein Vater ein bisschen geholfen). Immer waren
        auch beim komplizierten Apparat noch die einfachen Teile und deren
        Eigenschaften zu sehen: er glänzte genauso metallisch, man sah die
        einzelnen Löcher, die für die Schrauben vorgesehen waren. Aber
        gleichzeitig hatte der komplizierte Apparat neue Eigenschaften, die man
        den einfachen Teilen so nicht ansah: er konnte z.B. fahren, gerade aus
        oder in die Kurve oder wenn's ein Kran war, konnte er Lasten heben:
        Dinge bzw. Vorgänge, die erst beim komplizierten Apparat überhaupt
        zutage treten aber doch schon irgendwie mit den einfachen Teilen
        zusammenhängen, denn aus denen ist der komplizierte Apparat ja
        schliesslich aufgebaut.

        Der aufmerksame Leser ahnt vielleicht schon, in welche Richtung sich
        meine Gedanken dann weiterentwickelt haben. Ja, so war es: wenn ich
        wirklich aus Atomen bzw. Molekülen aufgebaut bin, dann bin ich
        vielleicht der Kran oder das Auto und kann Eigenschaften haben, die
        man den Atomen oder Molekülen so nicht ansieht. Wenn der Chemiker
        Wasserstoff und Sauerstoff zur Reaktion bringt, dann tut's vielleicht
        einen Knall und das, was dabei entsteht, nämlich das Wasser, hat
        plötzlich auch ganz andere Eigenschaften als die Einzelteile vorher
        noch. So scheint das also zu sein. Und in der Tat habe ich mich mit
        dieser Vorstellung immer mehr arrangiert. Ich habe durch die neue
        Kenntnis (dass ich also aus Atomen bzw. Molekülen aufgebaut bin)
        ja nicht plötzlich meine normalen, menschlichen Eigenschaften alle
        verloren. Ich konnte immer noch denken und fühlen, nur halt jetzt mit
        dem zusätzlichen Bewusstsein, dass das Ganze irgendwie mit den Atomen
        bzw. Molekülen (auch noch) zusammenhängt. Wie, das war völlig unklar
        aber dass es so wahr, konnte ich ja nicht leugnen.

        Man wird jetzt fragen, ob mich nicht z.B. der Religionsunterricht
        auf andere Gedanken gebracht hat und in der Tat hat er das aber
        die Sache ist eigentlich noch schlimmer geworden. Meine logische
        Gedankenfolge wurde dadurch nicht durchbrochen, im Gegenteil, es
        sind viele weitere merkwürdige Fragen bzw. Widersprüche aufgetaucht,
        dazu aber später mehr.

        Also, nachdem ich genügend lang mit dem Auto gespielt hatte, habe
        ich es wieder zerlegt und etwas anderes gebaut, diesmal vielleicht
        eine Getreidetrocknung. Die gleichen einfachen Teile, die soeben
        noch das Auto ausmachten, hatten plötzlich ganz neue Funktionen.
        So einfach war das. Die Getreidetrocknung konnte nicht fahren aber
        man konnte ein paar Körner hineinlegen und mit einem Propeller
        Luft hindurchblasen, auch nicht schlecht.

        Und wieder wird der aufmerksame Leser ahnen, wo die Reise hingeht:
        ja, wenn ich mal nicht mehr lebe, werden einige der Moleküle, die
        momentan noch zu mir gehören ganz woanders sein, vielleicht in einer
        Pflanze oder einem anderen Lebewesen, vielleicht auch einem Menschen.
        So scheint das alles hier abzulaufen.

        Und mitten in dieser schönen Geschichte sagt jetzt jemand: o.k.,
        das Auto ist jetzt nicht mehr da, Du kannst jetzt nicht mehr mit ihm
        spielen. Aber Du kannst Dir vorstellen, es wäre noch da. Ist das nicht
        ein bisschen, als ob Du noch damit spielen könntest? Verstehe ich
        nicht, jetzt hab ich doch meine Getreidetrocknung. Die funktioniert
        doch prima. Ja klar, wenn ich auch noch ein Auto hätte, wäre das
        sehr schön aber erstens freue ich mich jetzt über die Trocknung und
        weil ich zweitens nur einen kleinen Metallbaukasten habe, kann ich
        halt nicht alles gleichzeitig haben. Was ist da jetzt so dramatisch?

        Und diesmal wird der aufmerksame Leser zwar verstehen, was ich meine,
        ich kann mir aber gut vorstellen, dass er einfach anderer Meinung ist.
        Warum? Weil in unserer Kultur jedem (christlichen) Kind schon in sehr
        jungen Jahren beigebracht wird, dass das Leben nach dem Tod nicht
        selbsverständlich zuende ist. Diese Vorstellung scheint dermassen
        negativ vorbesetzt, dass man sie ganz weit weg schiebt und überhaupt
        nicht daran denken will. Dabei gibt es bis auf den heutigen Tag
        keinerlei irgendwie gearteten Hinweise auf so etwas wie eine
        (unsterbliche) Seele. Man kann, zumindest in dieser, uns zugänglichen
        Welt nicht so etwas wie eine 'Seelensubstanz' ausmachen. Man kann
        nicht ein Pfund oder ein paar Milligramm Seele abschneiden und sich
        wie beim Metzger einpacken lassen und mitnehmen. Zumindest hat das
        noch kein Mensch gemacht. Es scheint im Gegenteil ganz einfach zu sein:
        solange der Apparat 'vernünftig' (was auch immer das heisst) zusammen-
        spielt, sprich, der Mensch gesund ist, hat er alle Eigenschaften eines
        normalen Menschen: er kann atmen, gehen, denken, hat ein Bewusstsein.
        Schon kleinste Mengen von Gift (z.B. Alkohol) können durch rein
        materielle, d.h. chemische Vorgänge im Gehirn, massive Bewusstseins-
        veränderungen hervorrufen. Der Geist kann sich nicht von der Materie
        lösen, sondern im Gegenteil: die beiden Erscheinungen (Chemie des
        Gehirns und Bewusstsein) hängen irgendwie innnigst zusammen. Dies
        muss man zur Kenntnis nehmen. Wenn der Mensch wieder in seine Einzel-
        teile zerlegt wird, ist zwar das gesamte 'Material' noch da aber die
        zuvor noch vorhandenen Erscheinungen sind halt einfach nicht mehr zu
        sehen. Die grundsätzliche Anlage für diese Erscheinungen schlummert
        wohl noch in der Materie aber diese Erscheinungen treten bei so
        einfacher Anordnung wie beim Wassermolekül einfach nicht zutage. Da
        muss schon eine (menschliche) DNA kommen und das Kommando übernehmen,
        damit sich die 'billigen Bausteine' wieder zu einem ganz normalen
        Menschen zusammenfügen.

        Natürlich kann man trefflich philosophieren darüber, ob der Mensch
        nicht doch eine Seele hat (was auch immer das sein mag) aber erklären
        kann man damit gar nichts. Im Gegenteil, es treten nur noch mehr
        ungeklärte Fragen auf: wann entsteht denn die Seele überhaupt?
        Bei der Zeugung? Oder ist sie vielleicht schon vorher da? Warum
        eigentlich nicht? Was passiert denn bei der Zeugung, dass da plötzlich
        eine Seele auftaucht? Haben eigentlich Tiere auch eine Seele? Tiere
        können ja zumindest Schmerz empfinden und sich wahrscheinlich auch
        wohl fühlen. Wäre das nicht ein Indiz für eine 'kleine' Seele?

        Es ist halt wohl einfach so, dass die (Natur-)Wissenschfaft nichts
        mit einer Seele anfangen kann. Es ist gewiss auch so, dass man noch
        lange nicht verstanden hat, wie das menschliche Gehirn wirklich
        funktioniert aber einfach mal so eine Seele zu postulieren, mit der
        man rein gar nichts erklären kann und die nur lauter Fragen aufwirft,
        bringt einen nicht wirklich weiter, wenn man 'vernünftig' bleiben will.
        Dies ist natürlich kein Beweis dafür, dass es keine Seele gibt aber
        es ist halt einfach so, dass man bei 'vernünftiger', logischer
        Betrachtung nicht dazu kommt, eine Seele zu postulieren. Michael
        Pauen hat sich in seinem Buch 'Was ist der Mensch' ausführlich
        mit diesem Themenkomplex beschäftigt.


        11. Die Leute erzählen noch weitere Geschichten

        Noch bevor ein Kind also anfangen kann, selbstständige Gedanken zu
        entwickeln, muss man es natürlich erst einmal mit einer ordentlichen
        Menge an 'Grundwissen füttern'. Da geht's nicht immer drum, alles lang
        und breit zu erklären, weil ggf. einfach das Verständis noch nicht da
        ist bzw. sein kann. Soweit möglich, ist es selbstverständlich sinnvoll,
        zu versuchen, dem Kind zu erklären, worum's geht. Das wird aber nicht
        in jedem Fall funktionieren. Wenn's draussen kalt ist, wird es eben warm
        eingpackt, damit's nicht erfiert. Um wieder das Beispiel mit der Straße
        zu erwähnen: das kleine Kindlein hat dort ohne 'Aufsichtspersonal'
        nichts verloren, weil es dort viel zu gefährlich ist. Eltern müssen in
        vielen Bereichen ganz klare Ansagen machen, damit die Sache nicht
        gleich am Anfang daneben geht. Und das Kind tut gut daran, nicht jede
        einzelne Ansage oder Anordnung der Eltern zu hinterfragen oder sogar
        sich zu verweigern, weil die Eltern im Normalfall das Beste für das
        Kind wollen und ein Nichtbeachten der elterlichen Regeln eben nicht
        nur eine (harmlose elterliche) Strafe nach sich ziehen kann, sondern
        eine ernsthafte (Lebens-) Gefahr für das Kind bedeuten kann.

        Soweit, so gut, gäbe es da nicht gleichzeitig viele weitere
        'Geschichten', die man gelegentlich einem Kind beibringt, deren
        Wahrheitsgehalt eher von zweifelhafter Natur ist. Nachdem es sich für
        das Kind aber erst einmal als günstig erweist, die 'Geschichten' der
        Eltern kritiklos zu glauben, haben wir ein Problem. Selbst wenn klar
        ist, dass es wirklich nur eine Geschichte ist, kann man das Kind
        damit erschrecken. Ich erinnere mich z.B. an den Struwwelpeter. Über
        den didaktischen Wert dieses Buches wird man vortrefflich streiten
        können. Aber in jedem Fall war ich damals ziemlich schockiert, dass
        da der Schneider kommt und dem Daumenlutscher einfach den Daumen
        abschneidet. Das ist doch unmenschlich. O.k., nach einiger Zeit
        kapiert man dann, dass das wirklich nur eine Geschichte ist und
        dass man halt als grosser Junge eigentlich nicht mehr am Daumen
        lutschen sollte und das war's dann.

        Noch ein bisschen anders sieht es aber nun mit vielen der Geschichten
        aus, die man (oder speziell auch ich) über den Religionsunterricht
        vermittelt bekommen hat. Ja, eigentlich hat es schon vor der Schule
        mit dem 'Christkind' begonnen. Ich weiss nicht mehr genau, wie alt
        ich damals war, aber ich glaube, ich war noch nicht in der Schule.
        Jedenfalls habe ich irgendwann begonnen, mir darüber Gedanken zu machen.
        'Das Christkind' kommt am Abend des 24. Dezember zu meinen
        Geschwistern und zu mir und bringt Geschenke. 'Das Christkind' kommt
        am Abend des 24. Dezember zu allen meinen Nachbarn im Dorf und bringt
        Geschenke. 'Das Christkind' kommt am Abend des 24. Dezember auch zu
        allen anderen Kindern auf der Welt und bringt Geschenke. Irgendwie
        konnte ich das nicht verstehen: ist es wirklich so schnell oder gibt's
        vielleicht doch mehrere Ausgaben davon? Kann das sein? Ich versteh's
        nicht! Auf hartnäckiges Nachbohren hin bei meinen Eltern, sind diese
        schliesslich eingeknickt: ja also, schau mal her... Der Rest der
        Erklärung war dann zwar ein wenig desillusionierend aber letztendlich
        war ich erleichtert, dass die Welt doch in Ordnung ist und meine
        Befürchtungen und Zweifel eben keine Täuschung waren, sondern:
        MAN HATTE MICH SCHLICHTWEG ANGELOGEN!! (wobei ich nicht unterstellen
        will, dass das mit böser Absicht geschehen ist)

        Kommen wir also endlich zum Religionsunterricht. Da hat man uns ein
        Buch gegeben: 'DER GUTE HIRTE'. Und dort stehen wirklich viele sehr
        interessante Dinge drin. Ich habe als braver und fleissiger Schüler
        natürlich versucht, alles zu verstehen und ich kann jetzt sehr
        erleichtert sagen, dass ich wenigstens jetzt, also etwa 40 Jahre
        später, diesem ganzen Spuk für mich ein Ende bereitet habe.

        Was ist geschehen? Das Buch beginnt zu erzählen vom Hirten, der sich
        um seine Schafe kümmert. Ich bin auch eines seiner Schafe. Dann ist
        vom Heiland die Rede. Das ist vielleicht der gleiche wie der Hirte.
        Dann gibt's auch Engel, 'Ob nah, ob fern, sie sind da wie der Blitz.
        Wenn Gott winkt, haben sie schon getan, was er will. Darum malen wir
        die Engel mit großen Flügeln.' Dann ist natürlich auch von Gott die
        Rede, der die ganz Welt und auch mich gemacht hat: 'Gott hat alles
        geschaffen: die Sonne und die Sterne, die Erde und das Meer, die
        Tiere und die Blumen, dich und mich. Unser Gott ist allmächtig.
        Er kann schaffen, was er will.'

        Ich habe als Kind bzw. Schüler erst einmal wirklich alles geglaubt,
        was man mir im Religionsunterricht auf diese Weise beigebracht hat:
        dass Gott die Welt erschaffen hatte oder dass Gott allmächtig ist
        z.B.. Ich war auch der festen Überzeugung, dass ich, wenn ich einmal
        nicht mehr leben werde, in Wirklichkeit bei Gott sein werde. So wurde
        es mir beigebracht. Als evangelisches Kind habe ich nichts erfahren
        vom Fegefeuer oder der Vorhölle oder solchen Sachen. Nein, wenn ich
        wirklich reuig bin, werden mir alle meine Sünden vergeben werden und
        Gott wird mich am Jüngsten Tag zu sich aufnehmen. Die Welt war in
        Ordnung.

        Eine Zeit lang hatte ich aber ein ganz schlechtes Gewissen. Ich
        wusste, dass Gott alles sieht, auch meine Gedanken. Ich wusste auch,
        dass ich keine bösen Gedanken haben darf. Da hab ich drüber
        nachgedacht, welche Gedanken das wohl sein könnten, ich wollte sie
        ja vermeiden. Mir ist z.B. eingefallen, dass ich so schlimme Dinge
        denken könnte wie: Gott ist aber manchmal ganz schön gemein, denn
        ab und zu werden Menschen sehr krank und müssen leiden aber die
        können doch gar nichts dafür. Der allmächtige Gott müsste sich doch
        um diese armen Menschen kümmern und macht's aber nicht. Also ist
        er vielleicht doch gemein? Damit hatte ich aber nun ein massives
        Problem, denn ich hatte offenbar was böses gedacht. Gott ist nicht
        gemein, Gott ist gut. Aber weil ich jetzt so schlimme Sachen
        gedacht habe, wird er mich vielleicht nicht mehr lieben!
        Ich weiss heute nicht mehr, wie ich aus dieser Zwickmühle heraus-
        gekommen bin. Vielleicht hat man mich getröstet und mir erklärt,
        dass mich Gott trotzdem lieb hat und wenn ich ein braver Junge
        bin, brauche ich mir keine weiteren Sorgen zu machen...
        Dies konnte mich vielleicht für den Augenblich über meinen Kummer
        hinwegtrösten, der zugrunde liegede elementare Widerspruch war
        damit aber in keiner Weise gelöst.


        12. Die Geschichten passen nicht so recht zusammen

        Aber im Laufe der Zeit habe ich immer mehr nachgedacht. Und wie schon
        mit dem Christkind, bin ich auch hier auf zahllose Ungereimtheiten
        gestossen, die mir niemand erklären konnte: wie kann es sein, dass ein
        allmächtiger Gott zuerst Menschen erschafft, für die er ja wohl die
        volle Verantwortung trägt und dann aber plötzlich so erzürnt über sie
        ist, dass er eine riesige Flut schickt, um sie wieder zu vernichten?
        War er wirklich überrascht über die Menschen? Dann ist er wohl nicht
        allwissend (ich kann's jetzt nicht 100%-ig sagen, aber ich glaube,
        Gott wurde uns nicht nur als allmächtig, sondern auch als allwissend
        verkauft). Wenn er aber allwissend ist, dann war das eine ziemliche
        Gemeinheit, erst so arme Menschen zu erschaffen, um sie dann einfach
        zu ersaufen. Sowas macht man doch nicht! Ich hatte ja schon Probleme
        mit dem abgeschnittenen Daumen! Aber das mit dem Ersaufen ist der
        Gipfel!

        Aber egal, da hab ich die Geschichte wohl einfach nicht ganz richtig
        verstanden. Reden wir von etwas anderem: ich hatte gelernt, dass das
        Versagen von Adam und Eva dazu geführt hat, dass ich und alle anderen
        Menschen auch, nicht mehr im Paradies sind. Ich hatte das wirklich
        geglaubt! Ich kann mich wirklich erinnern, dass ich mich über Adam
        und Eva geärgert habe, weil die mir mein schönes Leben versaut hatten!
        Ja, so war es. Was ist denn das für ein Gott, der so eine riesige
        Ungerechtigkeit zulässt. Ich bin bestimmt ein braver und fleissiger
        Schüler gewesen (ich hatte es schon erwähnt), andere Menschen waren
        sicher auch so brav und fleissig wie ich aber trotzdem, nur weil 2
        Menschen evtl. einen Schmarrn gemacht haben, müssen das viele
        Milliarden Menschen ausbaden. Kann das wirklich so gemeint sein?
        
        Dann Lots Frau. Die war natürlich entsetzt, dass ihre Freunde und
        Bekannten dort in der brennenden Stadt auf erbärmliche Weise ums Leben
        kamen. Ihr Hab und Gut war natürlich auch mit dabei. Weil sie es nicht
        glauben konnte, was da los ist und sie sich also nochmal umgedreht
        hat, wurde sie von Gott zur Salzsäule gemacht. Eine nette Geste!

        So liessen sich noch etliche Geschichten aufzählen, mit denen ich
        ernsthafte Schwierigkeiten hatte. Doch niemand konnte mir helfen.

        Ich weiss nicht mehr, wann ich ernsthaft begonnen habe, all diese
        Geschichten als schlimme Schauermärchen einzordnen, die mit meinem
        Leben und unserer Welt nichts zu tun haben. Es war jedenfalls ein
        langer Prozess und heute bin ich froh, dass ich das alles hinter mir
        gelassen habe. So weit war ich damals aber noch nicht. Da gibt es
        eine wahre Begebenheit, die mich heute noch betroffen macht: ich
        erinnere mich, dass meine Mutter eines Tages von einer Beerdigung
        nach Hause kam. Ich fragte sie, wieso sie denn jetzt so traurig sei,
        der Mensch, der gestorben war, ist doch jetzt sicher bei Gott? So
        ist das doch, oder? Ja, sagte sie mir, sie ist vielleicht nur ein
        bisschen eigensüchtig, sie ist halt trotzdem traurig, dass der Mensch
        jetzt nicht mehr da ist. Ich hatte es offenbar nicht so recht
        verstanden oder verstehen wollen. Nein, sagte ich, es ist doch so,
        dass jeder Mensch, wenn er stirbt, von Gott aufgenommen wird. Dann
        müssen wir uns keine Sorgen mehr machen um die Welt hier und alles
        ist gut. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob ich damals ernsthaft
        vorgeschlagen oder nur gedacht hatte, dass es ja eigentlich nur
        konsequent wäre, wenn man nicht erst darauf wartet, bis die Menschen
        von alleine sterben, sondern, dass man da ja eigentlich nachhelfen
        müsste. Denn wenn das Leben hier eh nur eine äusserst mühsame
        Durchgangsstation ist, dann sollte man doch den Aufenthalt hier nicht
        unnötig in die Länge ziehen!?

        Das muss man sich wirklich vorstellen: ich habe als Kind ernsthaft
        solche Gedanken gehabt. Heute nimmt man an, dass die Todesflieger
        von New York ähnliche Gedanken hatten, als sie die Flugzeuge in die
        Wolkenkratzer jagten. Ich bin entsetzt. Und alles nur, wegen dieser
        verdammten Lügen, die man mir und wahrscheinlich auch den Terroristen
        beigebracht hat!!


        13. Die Geschichten sind noch nicht zuende

        O.k., kann man jetzt sagen, das waren alte Geschichten vom Alten
        Testament und das mit der 'mühsamen Durchgangsstation' hier habe ich
        wohl ein wenig überinterpretiert. Das ist alles mehr als Gleichnis
        gedacht. Das darf ich nicht so wörtlich nehmen. Ist doch klar.
        O.k., dann hab ich das wohl einfach falsch verstanden. Offenbar haben
        andere Menschen da wesentlich besseren Einblick in die Zusammenhänge
        und ich mache mir unnötig Sorgen. Fragt sich allerdings, warum mir
        das dann alles so beigebracht wurde, wenn es doch gar nicht so gemeint
        war? Und das kann auch wieder keiner erklären.

        Aber ich war ja noch nicht zuende. Ich sollte mich also mehr mit
        der aktuellen Situation beschäftigen. Gut, dann versuche ich mal zu
        verstehen, was ein guter Christ heute glauben soll. Ein paar Dinge,
        die mir spontan einfallen:

        Jesus ist der Sohn einer Jungfrau, wirklich, eine Jungfrau, nicht
        einfach eine junge Frau, nein eine Jungfrau. Bei Pflanzen kennt man
        das Phänomen der ungeschlechtlichen Vermehrung. Kartoffeln werden
        üblicherwseise so vermehrt. Die neuen Kartoffeln sind praktisch
        identische Kopien der alten Kartoffel, weil keine genetische
        Vermischung stattfindet. Bei Tieren kennt man sowas, glaube ich,
        nicht. Auch beim Menschen hat man sowas noch nie beobachtet. Falls
        es aber doch jemals gelingen sollte, einen Menschen zu klonen, dann
        ist es eben ein Klon. Eine Frau könnte dann aber nie einen Jungen
        'zeugen'. Wo kam also bei Jesus das Y-Chromosom her? Ja, vom
        Heiligen Geist. Glauben vernünftige Menschen wirklich sowas? Gibt
        es wirklich normal denkende Menschen, die daran glauben, dass so
        etwas vor etwa 2000 Jahren auf dieser Erde stattgefunden hat?
        Ich kann es nicht glauben.

        Jesus wird hingerichtet und damit können nun meine Sünden vergeben
        werden. Erstens ist ja gar nicht klar, ob ich überhaupt gesündigt habe
        aber man hat es mir eingeredet. Die Schriften versuchen, mir klar zu
        machen, dass ich einfach schon von Geburt an einen schweren Makel habe,
        ich glaube 'Erbsünde' heisst das. Irgend welche Beweise gibt's da
        nicht dafür aber schon dem Kindlein wird das eingetrichtert. Am Ende
        glaubt man es. Schlimm genug. Und nun wird einer, der halb Mensch
        oder halb Gott oder doch beides ist, an einem Kreuz hingerichtet und
        durch diese Greueltat soll es plötzlich möglich sein, dass ich von
        dieser 'Erbsünde' befreit bin! Gibt es Menschen, die sich so etwas
        allen Ernstes vorstellen können, ja dies wirklich für Realität halten?
        Ich kann es nicht.

        Jesus war zwar tot aber plötzlich wird er wieder lebendig. Ah, ich
        glaube, nicht die Hinrichtung, sondern die Tatsache, dass er wieder
        lebendig geworden ist, hat sich günstig auf mein Schicksal ausgewirkt.
        So genau weiss ich das aber nicht mehr. Wenn nur ein zentrales Organ
        des Menschen seine Funktion einstellt, etwa das Herz, dann ist der
        Tod nicht mehr fern. Das Gehirn wird nicht mehr mit dem nötigen
        Sauerstoff versorgt und die gesamte 'Maschinerie' hört auf zu
        funktionieren. Dies ist aller menschlichen Erfahrung nach ein nicht
        umkehrbarer Prozess, das Leben wird nicht mehr zurückkehren. Dennoch
        will man mir einreden, dass mit Jesus ganz sonderbare Dinge passiert
        sind und er völlig unerwartet wieder lebendig geworden ist. Glauben
        die Menschen das wirklich? Ich habe als junger Mensch erlebt, wie
        eine meiner (betagten) Urgrossmütter gestorben ist. Sie war ein für
        alle mal tot. Ich habe sie nicht wieder aus dem Grab aufstehen sehen,
        bis heute nicht. Ich kann nicht an eine Wiederauferstehung glauben.

        Beim Abendmahl wird Wein und Brot zu Blut und Leib Christi, wenn ich
        das richtig in Erinnerung habe. Es ist ja schon merkwürdig genug, dass
        ich mir vorstellen soll, dass es offenbar eine ganz sonderbare
        Umwandlung von Wein und Brot zu Blut und Leib Christi gibt, nur weil
        man sich zum Abendmahl versammelt und die Anwesenden vielleicht beten.
        Noch viel makabrer wird es aber, wenn ich diese Dinge dann auch noch
        essen soll. Ich bin doch kein Kannibale! Apropos Kannibalen. Diese
        haben ja wohl hauptsächlich ihre Feinde oder Gegner verspeist aber
        dass ich ausgerechnet meinen höchsten Gott aufessen soll, das ist
        durch nichts zu überbieten!

        Es gäbe noch viele weitere Beispiele, mit denen ich massive Probleme
        habe aber ich erspare mir das jetzt. Ich möchte fast schon sagen:
        schade um die Zeit, sich mit derlei Dingen ernsthaft zu beschäftigen!
        Nebenbei bemerkt, hätte ich als Katholik wohl noch ein bisschen mehr
        zu bemängeln gehabt. Allein so irrwitzige Dinge wie die Unfehlbarkeit
        des Papstes oder das mit dem Zölibat zeugen von einer dermassen
        erschreckenden Weltfremdheit, dass man sich ernsthaft Sorgen um den
        Geisteszustand der Kirchenvorderen machen muss! Oder was ist mit
        der Ungleichbehandlung von Mann und Frau in der katholischen Kirche?
        Kann man diese Ungleichbehandlung eigentlich aus der Bibel ableiten?
        Bei etwas genauerem Hinsehen ist das aber gar nicht so schlecht: so
        wird wenigstens verhindert, dass auch Frauen in dieses absurde
        (Kirchen-) Theater in gleicher Weise mit hineingezogen werden!


        14. Die Widersprüche treten allmählich in den Hintergrund

        Für einen einigermassen logisch denkenden Menschen, zumindest aber
        für mich selber, sind die bisher beschriebenen Fakten und Szenarien
        schwer zu ertragen. Auf der einen Seite ist man von Kind auf mit
        diversen religiösen Zusammenhängen und Begebenheiten konfrontiert
        worden, so dass diese Dinge zunächst einmal ganz fest und tief
        verwurzelt sind. Andererseits sind dort drin aber so viele Ungereimt-
        heiten und Widersprüche enthalten, dass man sich schwer vorstellen
        kann, dass das mit unserer Wirklichkeit etwas zu tun hat.

        Alles, was die Religion zustande gebracht hat ist, mich total zu
        verunsichern. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, ich sei ein schlechter
        Christ (und wahrscheinlich auch ein schlechter Mensch), weil ich
        die Märchen einfach nicht glauben kann. Kurz, es ist tatsächlich so,
        wie Richard Dawkins sagt: ich habe die Religion als Kindesmisshandlung
        erlebt. Ich rede jetzt gar nicht davon, dass man mich als Kind
        mehr oder weniger regelmässig in den Gottesdienst geschleppt hat,
        wo man still sitzen musste und nicht reden durfte. Das waren
        Kleinigkeiten. Es geht mehr um die bereits angesprochenen Widersprüche,
        mit denen ich nicht zurecht gekommen bin.

        Ich hatte mir sogar als Schüler eine moderne Übersetzung der Bibel
        gekauft (von Jörg Zink war die), damit ich endlich verstehen konnte,
        wie das alles gemeint sein könnte aber: Fehlanzeige. Wieder wurde
        z.B. seitenlang von Menschen berichtet, die ewig durch die Wüste
        gezogen sind. Ich habe diese Lektüre dann recht bald wieder beiseite
        gelegt, weil ich damit auch nicht schlauer geworden bin.

        Während des Studiums und im Laufe der folgenden Jahre sind für
        mich dann die religiösen Themen irgendwie von alleine immer mehr aus
        dem Blickfeld geraten. Wahrscheinlich war das eine ganz normale
        'Schutzreaktion', weil ich mit dem Thema einfach nicht klar gekommen
        bin.


        15. Der klare Nachthimmel bringt den Stein ins Rollen

        Ich habe praktisch all die vergangenen Jahre jeweils im Herbst einen
        Kurzurlaub auf dem Lande gemacht. Dort, in der Heimat funkeln die
        Sterne nachts natürlich noch viel heller und schöner als in der Stadt.
        Ich sehe zum Himmel und versuche, mich zu erinnern, was wir da gelernt
        hatten: es gibt die Planeten, die mit unserer Erde um die Sonne kreisen,
        dann gibt's die Sterne und die Milchstrasse. Die Sterne und die Milch-
        strasse gehören zu unserer Galaxie. Aber wie war das: wie viele Sterne
        sind das denn und wie viele Galaxien gibt's überhaupt? Weil ich in diesen
        Dingen nicht mehr ganz so sattelfest war, habe ich mir also ein wenig
        Literatur besorgt u.a. hatte Rudolf Kippenhahn eine 'Kosmologie für die
        Westentasche' im Angebot und Harald Fritsch beschäftigt sich mit dem
        Thema 'Vom Urknall zum Zerfall'.

        Das sind sehr interessante Bücher, in denen die Zusammenhänge auch für
        den Laien verständlich dargestellt sind. Eine Sache, die man natürlich
        auch schon mal irgend wo gehört hatte, ist mir aber nicht mehr aus dem
        Sinn gegangen: irgendwann in sehr ferner Zukunft, in einigen Milliarden
        Jahren, wird unsere Sonne zu einem Roten Riesen. Dabei wird die Erde
        dann sozusagen von der Sonne verschluckt. Spätestens zu diesem
        Zeitpunkt, wahrscheinlich aber schon sehr sehr viel früher wird auf
        der Erde das gesamte Leben erloschen sein.

        Man muss wissen, dass ich für meinen Computer (der mich immer mit
        einem mehr oder weniger witzigen Spruch begrüsst) mindestens vier
        Festplatten im Einsatz habe. Ich möchte damit einem Daten-GAU
        zuvorkommen, denn im Moment wäre das mehr als unangenehm, wenn die
        Daten plötzlich alle weg wären. Ich habe dann bei Gelegenheit,
        mehr scherzhaft, geäussert, dass da aber wohl irgend etwas ein
        wenig merkwürdig ist, denn wenn das mit dem Roten Riesen dereinst
        eintritt, dann ist es ja eigentlich egal, ob ich heute 1 oder 4
        oder irgend eine andere Anzahl von Festplatten habe. Dieses Szenario
        hat mich nicht mehr losgelassen. Hin und wieder hatte ich den Roten
        Riesen vor meinen Augen und ich begann, mich ganz allgemein zu fragen,
        nach welchen Kriterien ich im Hier und Heute eigentlich handeln sollte.
        Zumindest scheint es so zu sein, dass die Handlungen, die ich heute
        mache, in sehr ferner Zukunft möglicherweise gar keine Bedeutung 
        haben. Man könnte auch sagen, dass es völlig egal ist, was ich mache,
        die Sonne wird dann sowieso alles verbrennen. O.k., auf morgen oder
        übermorgen werden meine Handlungen heute wahrscheinlich Einfluss
        haben, so dass es natürlich im Moment gar nicht egal ist, was ich
        tue. Aber der Mensch sucht ja gerne nach endgültigen Antworten
        und dort wird's dann schon schwieriger.

        Diese Zusammenhänge haben mich also nachdenklich gemacht. Müssen sie
        ja auch. Denn da wird einem jahrelang gepredigt, dass es absolut
        wichtig ist, sich so oder so zu verhalten und dann stellt sich am Ende
        heraus, dass es doch völlig egal ist? Das kann doch nicht sein! Ja,
        ich weiss, ein gläubiger Mensch ist schnell mit einer Antwort zur Hand,
        die mich aber, wie nicht anders zu erwarten in keiner Weise beruhigen
        kann. Dazu werde ich später noch kommen. Vielleicht können wir daraus
        aber auch dies lernen: es hat keinen Sinn, seine Handlungen auf die
        Ewigkeit auszurichten, sondern man kann nur zusehen im Hier und Heute
        vernünftig und verantwortungsbewusst zu handeln, mehr geht nicht.
        Was dann genau 'vernünftig' bzw. 'verantwortungsbewusst' heisst, wäre
        dabei noch zu klären.

        Im Moment hat das Ganze dazu geführt, dass ich mir das eine oder andere
        philosphische Buch gekauft habe, um zu erfahren, was andere Menschen
        zu diesen Themen zu sagen hätten. Da waren interessante Aspekte dabei
        und ich habe natürlich nicht alles bis ins letzte Detail verstanden
        aber von einer ganz anderen Seite ist plötzlich was geschehen.
        Ich habe ein paar Bücher entdeckt, die sich recht kritisch mit
        religiösen Themen befassen. Das hat mich jetzt sehr interessiert.

        Zuerst ist mir Paul Schulz aufgefallen, der wegen seiner Ansichten
        aus der evangelischen Kirche verbannt wurde. Es ist sehr interessant,
        sein Buch 'Die Kraft des Atheismus' zu lesen. 

        Als ich ein Kind war, hatten meine Großeltern ein Bild von Martin
        Luther an der Wand hängen. Ein andächtiger Mann mit einer Bibel in
        der Hand. Ich hatte ihn als aufrechten, tapferen Mann in Erinnerung,
        der sich vor allem gegen den Ablasshandel stark gemacht hatte. Und
        nachdem er sozusagen mein höchster oder erster Kirchenvertreter war,
        habe ich nichts Schlechtes über ihn gedacht. Vielleicht habe ich mich
        auch viel zu wenig um die Dinge gekümmert aber bei Paul Schulz lese
        ich, was Luther auch gesagt hat:

        ...
        Wie ich dazumal geschrieben habe, so schreibe ich noch. Der hals-
        starrigen, verstockten Bauern erbarme sich niemand, sondern haue,
        steche, würge, schlage drein als unter tolle Hunde
        ...

        Alleine dieser Satz war es Wert, das Buch von Schulz zu lesen.
        Ich war entsetzt: rein zufällig bin ich auch auf dem Bauernhof
        aufgewachsen aber völlig unabhängig davon sind die Äusserungen
        Luthers völlig inakzeptabel. Er hat im Ernst gesagt, man solle
        Menschen hauen, stechen, würgen und schlagen. Ein Mensch mit
        solchen Motiven kann niemals mein Vorbild sein, das ist doch
        klar. Und es soll mir keiner kommen, damals waren die Zeiten
        anders. Natürlich waren die Zeiten anders. Und wenn es denn
        so wäre, dass die Ideale von damals heute nicht mehr gelten, na
        dann, nur zu. Vielleicht können wir dann die restlichen
        Aussagen auch gleich auf dem Scheiterhaufen mit verbrennen, weil
        die ja heute möglicherweise auch schon längst überholt sind! 

        Schulz bringt in die biblischen Geschichten ganz neue Aspekte ein.
        Ja, nach allem, was man weiss, hat es wohl einen Jesus gegeben
        aber dieser tatsächliche Jesus hatte kaum etwas zu tun mit dem
        Jesus, wie er uns heute präsentiert wird. Im Kern geht Schulz
        sogar soweit, zu postulieren, dass Jesus seine Ethik ohne Gott
        entwickelt hat. Der starke Gottesbezug käme gar nicht von Jesus
        selbst, sondern sei erst später hinzugedichtet worden. Schulz
        geht dabei insbesondere auf das Thema 'verba ipsissima' ein, also
        die 'höchsteigenen/persönlichen Worte' die Jesus geprochen haben
        soll, wie das die Jesusforscher nennen. Wirklich ein spannendes Buch!


        16. Endlich: ein Mann spricht mir 'aus der Seele'

        War das Buch von Schulz schon sehr interessant, so habe ich ein
        bisschen später ein weiteres Buch entdeckt: 'Der Gotteswahn' von
        Richard Dawkins. Andere Leute mögen sich über Dawkins empören oder
        seine Aussagen für übertrieben halten. Ich habe jedoch hocherfreut
        festgestellt, dass ich mit praktisch allen meinen Bedenken und Sorgen,
        die ich bisher hatte, was meinen Glauben angeht, nicht allein dastehe.
        Nein, Dawkins spricht die Probleme glasklar an und kommt zu genau
        den Schlüssen, die ich alleine kaum gewagt hatte zuende zu denken.
        Ausserdem spricht er noch viele weitere Punkte an, die mir noch gar
        nicht in den Sinn gekommen waren.

        Natürlich kann auch Dawkins weder Gott beweisen noch ihn widerlegen
        aber was er macht, ist, die Vernunft, den Forscher, den klaren
        Menschenverstand in den Vordergund zu rücken und die Dinge immer
        wieder kritisch zu hinterfragen. Genau damit hat es die Menschheit
        bisher geschafft, viele offene Fragen zu klären und Antworten zu
        finden, die früher völlig unvorstellbar waren.

        Was waren das für überflüssigen Kämpfe um das geo- bzw. heliozentrische
        Weltbild? Selbst als völlig klar war, was Sache ist, hat die Kirche
        sich standhaft geweigert, der Vernunft zu folgen. Das kann man doch
        nicht gut heissen!

        Ich will und kann hier nicht Dawkins' Aussagen alle wiederholen aber
        bei konsequentem Einsatz der Vernunft scheint es tatsächlich so zu
        sein, dass sich alles, was mit Religion zusammenhängt ganz 'natürlich'
        erklären lässt. D.h. eine Religion ist eben nicht irgend etwas von
        einem 'echten Gott' Eingesetztes, vielleicht aufgrund irgend einer
        Offenbarung, die einige Auserwählte erlebt haben, sondern unter
        bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen können sich auf einmal
        religiöse Verhaltensweisen herausbilden. Ich erwähne da nur die von
        Dawkins erwähnten 'Cargo-Kulte'. Oder es geraten sogar ganz spontan
        irgendwelche zufälligen Gerüchte in Umlauf. Siehe mein Beispiel oben
        von der 'explodierenden Gerüchteküche'.

        Langer Rede kurzer Sinn: ich kann wirklich sagen, dass Dawkins mich
        mit seinem Buch 'erlöst' hat. Das mag für einen gläubigen Menschen
        sonderbar oder gar widerwärtig klingen. Bloss, das Witzige an der Sache
        ist ja, dass ich auch einmal gläubig war, sehr sogar. Nur konnte ich
        halt wahrscheinlich 'die paar Ungereimtheiten', die mir so aufgefallen
        waren, nicht einfach ignorieren, wie das evtl. andere Menschen tun,
        sondern ich wollte wissen, was wirklich los ist. Durch dieses
        konsequente Nachfragen bin ich aber auf immer mehr Widersprüche
        gestossen, die ich nicht aufklären konnte. Zum Schluss blieb also
        nur der radikale Bruch übrig: alles, was man mir über Gott und Jesus
        beibringen wollte, entbehrt jeglicher Grundlage und hat mit userer
        Welt nichts zu tun.


        17. Ein paar weitere Randbemerkungen

        Ich möchte hier einfach noch ein paar weitere Aspekte herausgreifen,
        die mir so durch den Kopf gehen bzw. gegangen sind. Und sicher könnte
        man zu dem Thema noch viel mehr sagen:

                1. Wie ist das eigentlich mit all den anderen Religionen?
                   Wenn man es nüchtern betrachtet, behauptet doch jede von
                   sich, dass sie es richtig macht. Die alten Griechen waren
                   von ihren Göttern überzeugt, ebenso die Germanen von den
                   ihrigen. Von aussen betrachtet, wird man sagen müssen, dass
                   es nicht so sein kann, dass sie alle gleichzeitig Recht
                   haben, vor allem, wenn sie sich gegenseitig widersprechen.
                   Vor dem Hinterund der 'natürlichen' Entstehung von
                   Religionen, wie oben dargelegt, löst sich das Rätsel einfach
                   auf: keine hat 'die Weisheit mit dem Löffel gefressen',
                   sondern alle sind sie Menschenwerk und kommen eben nicht
                   von einem 'Gott' oder sonstigen übernatürlichen Wesen.

                2. Ich habe oben über die Fragen aus den beiden Kategorien 1
                   und 2 geschrieben. Viele der Fragen aus Kategorie 1
                   lassen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt durch die
                   Wissenschaft klären, viele weitere auch nicht aber
                   einige davon vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
                   Fragen aus Kategorie 2 scheinen für den Menschen aber
                   prinzipiell nicht beantwortbar. Die Religion ist schon
                   immer schnell bei der Hand gewesen, sich der nicht
                   beantworbaren Fragen aus Kategorie 1 zu bemächtigen.
                   Dummerweise können im Laufe der Zeit aber im allgemeinen
                   immer weitere Fragen aus Kategorie 1 durch die Wissenschaft
                   geklärt werden. Dies macht die Religion an dieser Stelle
                   dann sofort überflüssig. Wenn Religion also kein Lücken-
                   büsser sein will, tut sie gut daran, sich eben NICHT
                   um diesen Typ von Fragen zu kümmern. Wenn aber andererseits
                   eine Religion sich hinstellt und erklärt: seht her, die
                   Fragen aus Kategorie 2 sind durch Menschen nicht lösbar.
                   Aber es gibt einen Ausweg. Die Erklärung ist Gott!
                   Dann erklärt das aber in Wirklichkeit gar nichts. Denn
                   dann steht anstelle der Welt halt einfach Gott so im Raum
                   (über dessen Eigenschaften wir noch gar nicht geredet haben)
                   und niemand kann über diesen Gott etwas Erhellendes
                   beitragen. Insbesondere wird niemand sagen können, wo denn
                   dieser Gott dann hergekommen ist. Das führt einfach nicht
                   weiter. Das ist so, als wolle man in der Physik eine
                   unbekannte Grösse ermitteln. Man möchte gerne den
                   numerischen Wert wissen, also ob es 20 oder 30 Meter sind
                   z.B.. Sagen wir, wir hätten die Grösse mit x bezeichnet.
                   Dann sind wir also mangels weiterer Informationen nur so
                   schlau, dass wir wissen wollen, wie gross x denn
                   schliesslich ist. Wenn wir aber keine weitere Information
                   haben, wissen wir eben nicht, ob es 20 oder 30 Meter oder noch
                   ein ganz anderer Wert ist. Jetzt aber kommt ein Schlaumeier
                   daher und sagt: ich weiss, wie gross x ist. x ist nämlich
                   genau so gross wie meine super tolle magische Grösse Y, die
                   ich schon lange vom Namen her kenne. Die heisst also Y,
                   gross geschrieben und wenn ich hinschreibe: x = Y, dann seht
                   ihr ja, wie gross x ist. Wo ist also euer Problem?
                   
                   Solange ich nicht an Halluzinationen leide, die
                   mir einen Gott erscheinen lassen oder solange mir echt
                   der wahre Gott nicht gegenübersteht, muss ich ehrlicherweise
                   einen Schritt vorher stehenbleiben und sagen: aha, sehr
                   interessant, da sind wir also, wir und unser gesamter
                   Kosmos. Es wäre sehr interessant, zu wissen, warum das
                   alles so ist, ich wüsste gerne, ob das alles eine
                   tiefere Ursache oder einen bestimmten Grund oder Zweck
                   hat aber leider kann ich da nichts erkennen. Und so
                   werde ich wohl staunend stehen bleiben müssen.

                3. Damit das Bild nicht ganz so trostlos aussieht: ich habe
                   oben erwähnt, dass ich die Religion als Kindesmisshandlung
                   erlebt habe. Das ist ziemlich hart formuliert und ich werde
                   das auch nicht zurücknehmen aber es gibt natürlich ein paar
                   Aspekte 'meiner' Religion, die durchaus in Ordnung sind.
                   Das sind z.B. all die Bereiche, wo es um Nächstenliebe und
                   vernünftige Verhaltensregeln für den Umgang der Menschen
                   miteinander geht. Es gibt sicher Menschen, die sich freuen,
                   wenn sich in schweren Zeiten ein Seelsorger um sie kümmert.
                   Und aus gutem Grund hat der Gesetzgeber etliche 'Regeln'
                   erlassen, damit der ganze Laden einigermassen zivilisiert
                   abläuft. Wie Dawkins aber bemerkt, sind das alles Sachen,
                   die ein ganz normaler Humanismus auch leisten kann, die
                   man also ohne den völlig unverständlichen religiösen
                   Überbau genausogut haben kann. Ich habe mich z.B. dazu
                   entschlossen, einen Grossteil meiner Kirchensteuer dem
                   Weissen Ring zu spenden. Bei dieser Organisation kann ich
                   annehmen, dass sie z.B. keine riesigen Gebäude errichtet,
                   in die am Sonntag eh keiner hineingeht und trotzdem denke
                   ich, dass ich damit für in Not geratene Menschen einen
                   kleinen Beitrag leisten kann.

                4. Ich hatte mich zuletzt noch lustig gemacht: nach Aussagen
                   des Papstes galt oder gilt die evangelische Kirche ja
                   sowieso nur noch als etwas grössere Sekte. Und der Austritt
                   aus einer Sekte sollte doch eh das Vernünftigste sein, was
                   man machen kann. Nach kurzem Nachdenken bin ich aber auf
                   ein grundsätzliches Problem gestossen: offenbar sind sich
                   katholische und evangelische Theologen da in bestimmten
                   zentralen Punkten völlig unseins. Das gemeinsame Abendmahl
                   ist da wohl nur ein Punkt unter vielen. Luther hatte damals
                   massive Probleme mit der Kirche. Ein zentraler Kritikpunkt
                   war wohl der Ablasshandel. Seiner diesbezüglichen Kritik
                   kann man nur zustimmen. Die Kirchenoberen damals hatten
                   es offenbar übertrieben. Der Ablasshandel konnte nicht
                   aus der Bibel oder aus sonstigen Schriften abgeleitet
                   werden, d.h. es ging also auf beiden Seiten eigentlich um
                   eher weltliche Dinge und nicht um göttliche Vorgaben.
                   Völlig anders sieht es aber mit so Dingen wie Fegefeuer
                   oder Vorhölle aus. Ich denke als evangelischer Christ
                   gab's für mich so etwas nicht. Wenn ich meine Sünden
                   bereue, dann wird mich Gott am Jüngsten Tag zu sich nehmen
                   und alles ist gut. Die Katholiken haben es da schon
                   schwerer, z.B. insbesondere ungetaufte Kinder. Die sind ja
                   mitunter gar nicht auf dem normalen Friedhof begraben
                   worden. Sowas kennen die evangelischen Christen, denke ich,
                   nicht.

                   Das Problem an der Sache ist aber dies: für einen guten
                   Katholiken sind Fegefeuer und Vorhölle real, also von Gott
                   gegeben. Kein Mensch kann sich über dieses Gesetz stellen.
                   Jetzt kommt Luther und versucht aber eben dieses. Dann
                   gibt's eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder die
                   Sprüche Luthers hatten einfach keine Wirkung, denn als
                   Mensch kann man nicht einfach göttliches Gesetz ändern
                   oder: wenn evangelische Christen annehmen und wissen, dass
                   es so einen Schmarrn wie Fegefeuer und Vorhölle nicht
                   gibt, weil Gott das nie eingerichtet haben kann, dann
                   haben die Katholiken auch kein Fegefeuer und keine Vorhölle!
                   Nachdem sie diese Einrichtungen aber lange Zeit gepflegt
                   haben, ist hier also schon wieder ein schöner Widerspruch
                   vorhanden. Ah, wenn ich mich jetzt recht erinnere, hat der
                   Papst jüngst die Vorhölle doch abgeschafft. Sie war ja wohl
                   auch nur von einem unfehlbaren Vorgänger zuerst eingerichtet
                   worden. Aber nachdem der Papst ja eh irgendwo zwischen
                   Himmel und Erde angesiedelt ist, wird das schon gehen so.

                5. Wofür brauche ich überhaupt eine Religion? Mit welcher
                   Motivation will man mir eine Religion beibringen? Geht es
                   um mich oder um den 'Missionar' oder um noch ganz andere,
                   grössere Zusammenhänge? Im realen Leben kann mir
                   normale Mitmenschlichkeit und im weitesten Sinne die
                   Wissenschaft am besten helfen. Oder auch anders rum: ich
                   glaube, dass ich anderen am besten helfen kann, wenn ich
                   mich ihnen zuwende und im 'Notfall' mit meiner ganzen Kraft
                   und Intelligenz versuche, zu helfen. Was nützt es denn, wenn
                   etwa der Computer einer Bekannten streikt und wir anfangen
                   zu beten? Ausser, dass sie sich vielleicht nicht ganz so
                   im Stich gelassen fühlt, wenn wir beide das Schicksal
                   beklagen, wird es aber nichts bringen. Das Einzige, was hier
                   helfen kann (wenn es nicht bereits andere tun), sind meine
                   Computerkenntnisse und mein tatkräftiger Einsatz, das Ding
                   wieder zum Laufen zu bringen, sonst nichts!

                   Ein Jenseits kenne ich nicht. Genauso gut könnte ich 100000
                   andere absurde Szenarian ersinnen, vor denen ich erschrecken
                   kann, die aber alle gleichermassen unbeweisbar sind.
                   Vielleicht bin ich ja jedesmal, wenn ich schlafe, irgendwie
                   im (schrecklichen) Jenseits (bis auf die Traumphasen, an die
                   ich mich evtl. erinnere) und merke es im Wachzustand
                   lediglich nicht. Ich könnte z.B. ganz plump behaupten, nur
                   wenn ich an jedem Tag mindestens 12 Kilometer weit gelaufen
                   bin und dafür nicht über eine Stunde gebraucht habe, habe ich
                   mich dafür qualifiziert, dem (schrecklichen) nächtlichen
                   Jenseits zu entrinnen. Und niemand könnte es widerlegen!
                   Jeder normale Mensch wird mich (zu Recht) für verrückt
                   halten, wenn ich ernsthaft so etwas behaupte. Nur weil
                   man meint, unsere religiösen Lehren hätten einen ganz
                   besonderen, unantastbaren Ursprung, schalten die Menschen
                   anscheinend ihr Gehirn aus und akzeptieren den grössten
                   Blödsinn.

                   Wenn der 'Missionar' also keine logischen Gründe nennen kann
                   für seine Mission, dann soll er sich doch vornehm zurückziehen
                   und nicht versuchen, mich mit seinen (Horror-)Visionen fertig
                   zu machen. Das wäre fair. Im Idealfall würde ich vielleicht
                   erwarten, dass er zu mir kommt und sagt: sieh mal, ich glaube,
                   die Dinge liegen so und so. Ich kann das aber nicht beweisen.
                   Es gibt zwar viele Schriften, die darauf hinweisen, dass ich
                   wirklich Recht haben könnte, aber ganz sicher ist das nicht.
                   Was hälts denn Du davon? Wollen wir vielleicht mal drüber
                   reden? Oder wie ist denn Deine Sicht der Dinge? Könnte es
                   vielleicht sein, dass ich total falsch liege? Wie könnten wir
                   denn am besten weitermachen?

                   Apropos 'Horrorvorstellungen' des 'Missionars'. Soweit ich
                   das verstanden haben, beziehen etwa die Christen alle ihre
                   Aussagen aus der Bibel. Aber soweit ich das auch mitbekommen
                   habe, handelt es sich bei der Bibel nicht um ein in sich
                   gechlossenes, konsistentes Werk, wie etwa eine mathematische
                   oder andere wissenschaftliche Abhandlung mit exakter
                   'Tatbestandsaufnahme'  oder akribischer Beweisführung,
                   sondern es gibt sogar verschiedene Varianten/Ausführungen
                   und ausserdem viele verschiedene Autoren. Der tatsächliche
                   historische Bezug ist, glaube ich, auch nicht in jedem Fall
                   völlig unumstritten. Dann ist es wohl auch so, dass die
                   schriftliche Niederlegung nicht immer unmittelbar nach den
                   (behaupteten) Geschehnissen erfolgte, sondern z.T. viel
                   später, manchmal vielleicht erst Jahre später. Auch wenn
                   heutige Bibelforscher mit aller Kraft nach dem suchen,
                   was man als die 'Originalversion' der jeweiligen
                   Geschehnisse bezeichnen könnte, d.h. sich auf eine Version
                   einigen, die allem Anschein nach mit höchster Wahrschein-
                   lichkeit Vorlage/Ausganspunkt für sämtliche späteren
                   Schriftstücke war, dann hätte man damit immer noch lange
                   keinerlei Beweis dafür, dass sich ein bestimmtes Geschehnis
                   tatsächlich so zugetragen hat. Bei wissenschaftlicher Heran-
                   gehensweise sagt EINE 'Messung' gar nichts aus. Erst wenn
                   auch anderer Forscher das gleiche Phänomen reproduzieren
                   können, man sich also von unabhäniger Seite überzeugen kann
                   von den Umständen, kann man beginnen, an die neue
                   'Erscheinung' zu glauben. Alles andere ist voreilig, leicht-
                   sinnig oder Wunschdenken und hat mit vernünftigem Arbeiten
                   nichts zu tun! Das Problem bei vielen der biblischen
                   Aussagen ist aber gerade, dass es ganz bestimmte einmalige
                   Ereignisse gewesen sein sollen, die sich natürlich nicht
                   so ohne weiteres wiederholen lassen. Gleichzeitig sind die
                   'Nebenwirkungen' inzwischen nicht mehr auffindbar, so dass
                   es praktisch unmöglich ist, wissenschaftliche Belege zu
                   finden. Da hilft dann eben nur noch der reine Glaube. Wenn
                   das jemand wider alle Vernunft machen will, kann man dazu
                   eben nichts mehr sagen.

                6. Warum wird 'die frohe Botschaft' so versteckt? Was mich
                   auch schon immer verblüfft hat, ist der Umstand, dass sich
                   Gott offenbar einen Heidenspass daraus macht, sich undeutlich
                   auszudrücken. Wenn es ihm als Chef wirklich wichtig ist,
                   dass wir das hier alles richtig machen, dann darf er seine
                   Ansagen doch um Himmels Willen nicht so machen, wie das
                   angeblich geschehen ist. Analphabeten oder ganz einfache
                   Menschen werden mit seinen Geboten konfrontiert, die diese
                   dann an alle anderen Menschen weitervermitteln sollen.
                   Wenn es wirklich so ist, dass die Gebote und dann später
                   die gesamte Aufführung mit Jesus für alle Menschen eine so
                   zentrale Rolle spielen, dann muss ich mich als Chef schon
                   ein wenig intensiver mit der Materie und meinem Publikum
                   befassen. Vor allem darf ich nicht warten, bis schon viele
                   Menschen OHNE dieses Wissen gelebt haben und auch wieder
                   gestorben sind. Was soll mit diesen armen Kreaturen
                   eigentlich geschehen? Das ganze ist eine Farce.

                7. Die Notwendigkeit der christlichen Religion ergibt sich aus
                   ihr selber: erst wird ein Jenseits postuliert, dann die
                   Erbsünde. Ausserdem kann man sich als Mensch natürlich
                   einreden lassen, es gebe so etwas wie Schicksal, Vor-
                   bestimmung oder Göttliche Vorsehung (was aber in der
                   Praxis nicht vom reinen Zufall zu unterscheiden ist). Dies
                   ist eine hervorragende Konstellation, an der ein Mensch
                   automatisch zerbrechen muss, wenn nicht göttliche Hilfe
                   gerufen wird. Und so geschieht es dann auch.

                   Würden wir von Anfang an unser Hirn einschalten, dann
                   müssten wir schon beim Jenseits protestieren: nach allem,
                   was die Hirnforschung heute weiss, macht es keinen Sinn, von
                   einer Seele zu reden. D.h. wir haben nur genau das eine Leben
                   hier, wir brauchen keinen grossen Erlöser, der unser Schicksal
                   im Jenseits managed. Das mit der Erbsünde ist bei genauerem
                   Hinsehen derart pervers, dass man drüber lachen müsste, wenn's
                   nicht so traurig wäre. Wie soll die sich denn im täglichen
                   Leben auswirken? Es reicht doch völlig, wenn ich nach den
                   bürgerlichen Gesetzen lebe und versuche, mit meinen Mit-
                   menschen gut auszukommen. Mehr ist doch wirklich nicht nötig!

                   Also: anstatt nur ständig zu jammern und auf die Erlösung im
                   Jenseits zu hoffen, ist es 1000 mal sinnvoller, das einzige
                   Leben, welches wir hier haben, anzunehmen und es in der Tat als
                   grossartige Chance zu sehen! Ja, das ist hart: ich glaube
                   inzwischen, dass die theologische Basis des christlichen
                   Glaubens in Wirklichkeit gar nicht existiert bzw. lediglich
                   ein riesiger Irrtum oder zum Teil auch Schwindel ist. Das
                   ist eine krasse Aussage aber das scheint mir die einzig
                   vernünftige Schlussfolgerung!


        18. Mein Schlusswort

        Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich jegliche Form von Religion als
        von Menschen gemacht betrachte. Ich glaube nicht an Wunder, d.h. an echte
        Verletzungen der Naturgesetze. Astronomen berichten uns, dass sich unser
        Kosmos praktisch von einem einzigen winzigen punktförmigen
        Zustand aus zu dem entwickelt hat, was wir heute sehen. Die komplette
        unbelebte aber auch die belebte Natur einschliesslich des Menschen hat
        sich sozusagen zufällig, im freien Spiel der Kräfte entwickelt. Es hat
        zu keiner Zeit irgend einen sonderbaren externen Eingriff gegeben. Es
        hat niemals und zu keiner Zeit eine Jungfrau ein Kind bekommen. Die
        Naturgesetze haben das Geschehen bestimmt und bestimmen es auch in
        Zukunft. Natürlich gibt es viele offene Fragen aber es gibt keinen
        Grund an dem zu zweifeln, was man sieht. Es gibt allerdings viele
        Gründe, zögerlich zu sein, Sachen zu glauben, die völlig absurd sind.
        Religion ist als solche zwar nicht als Hirngespinst abzutun, weil es
        sie ja offenbar gibt aber die Inhalte der Religion haben nicht den
        göttlichen Ursprung, der angeblich dahinter steht. Vielmehr ist es
        viel naheliegender, dass die Religion von Menschen gemacht ist. Ich
        bin daher vielmehr folgender Meinung:
        
        Religion ist das gemeinschaftlich gepflegte Kultivieren und Bewahren
        von Unwissenheit, Halbwahrheiten und z.T. recht abwegigen Überlieferungen
        und Ritualen, um gewisse Herausforderungen des Lebens (vermeintlich)
        besser meistern zu können. Die konkreten Inhalte der Religion sind
        mitunter durch nichts vom Aberglauben zu unterscheiden und es ist reiner
        Zufall, dass nicht der eine oder andere Aberglaube Bestandteil der
        Religion geworden ist bzw. Teile der Religion nicht zum Aberglauben
        degradiert wurden. Möglicherweise hängt das Entstehen von Religion einfach
        damit zusammen, dass man viele Fragen der Kategorie 1 nicht beantworten
        konnte (und die Fragen der Kategorie 2 erst recht nicht), man aber
        dennoch nach Antworten gesucht und schliesslich auch irgend welche
        gegeben hat. Etliche der Fragen aus Kategorie 1 können heute durch
        die Wissenschaft beantwortet werden, so dass dort die alten Antworten
        der Religion keine Bedeutung mehr haben. Einzig die Fragen der
        Kategorie 2 bleiben wohl für immer ungeklärt und Menschen, die
        diesen Umstand nicht wahr haben wollen, sich also sehnlichst eine
        Antwort wünschen, geben sich diese, indem sie sich in ihre selbst-
        gemachte Religion flüchten. Ich gehöre nicht (mehr) zu diesen Menschen.


        19. Ein paar Literaturangaben

        Dawkins Richard, Der Gotteswahn, Berlin 2007

        Erb Jörg, DER GUTE HIRTE, 'Schulbuch': Eine Einübung in den
        christlichen Glauben und in das christliche Leben, Kassel 1963

        Fritsch Harald, Vom Urknall zum Zerfall, München 1987, 2002
        
        Hoffmann Heinrich, Der Struwwelpeter, Hamburg

        Kippenhahn Rudolf, Kosmologie für die Westentasche, München 2003

        Pauen Michael, Was ist der Mensch, München 2007

        Schulz Paul, Codex Atheos 'Die Kraft des Atheismus', Cuxhaven 2006

        Zink Jörg, Das Alte Testament, Stuttgart 1972

        Zink Jörg, Das Neue Testament, Stuttgart 1975


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Rudolf Schubert, rudolf@muc.de , Mi 20. Mär 08:34:33 CET 2024