Die Sicht der Dinge
0. Inhalt
0. Inhalt
1. Motivation
2. Die erste Erkenntnis
3. O.k., ich bin ein Mensch aber was nun?
4. Der Mensch beginnt zu denken
5. Das Denken geht weiter
6. Ein Beispiel: Die Gerüchteküche explodiert
7. Was soll oder kann man also glauben?
8. Spielt es überhaupt eine Rolle, woran ich glaube?
9. Gibt es noch weitere 'viel wichtigere aktuelle Tagesthemen'?
10. Also: wie ist das mit dem Leben nach dem Tod?
11. Die Leute erzählen noch weitere Geschichten
12. Die Geschichten passen nicht so recht zusammen
13. Die Geschichten sind noch nicht zuende
14. Die Widersprüche treten allmählich in den Hintergrund
15. Der klare Nachthimmel bringt den Stein ins Rollen
16. Endlich: ein Mann spricht mir 'aus der Seele'
17. Ein paar weitere Randbemerkungen
18. Mein Schlusswort
19. Ein paar Literaturangaben
1. Motivation
Am 22.10.2007 habe ich bei der Gemeinde Oberhaching eine
Kirchenaustrittserklärung abgegeben. Im Einzelnen bestanden
meine Erklärungen aus folgendem:
Rechtliche Zugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgemeinschaft
oder Weltanschauungsgemeinschaft:
evangelisch
Ich trete aus der angegebenen Kirche aus.
Die Standesbeamtin hat meine Erklärung entgegengenommen und nach
Zahlung von 31,00 Euro war der Vorgang offiziell abgeschlossen.
Um zumindest für mich selber und ggf. Teile meiner Umwelt einige der
hinter diesem Entschluss stehenden Überlegungen und Vorgänge
festzuhalten, hielt bzw. halte ich es für angebracht, ein paar
schriftliche Notizen zu machen. Bevor ich soeben mit dem Schreiben
begonnen habe, hat mich mein Computer mit einem zum Thema sehr gut
passenden Spruch begrüsst. Man muss dazu wissen, dass ich ein
Programm auf dem Computer installiert habe, welches jedes mal, wenn
sich jemand anmeldet, einen mehr oder weniger schlauen Spruch auf
dem Bildschirm ausgibt. Diesmal hat er so geheissen:
Weiner's Law of Libraries:
There are no answers, only cross references.
2. Die erste Erkenntnis
Egal, ob es um elementare (menschliche) Empfindungen oder Gedanken
geht oder ob wir uns mit wissenschaftlichen Themen beschäftigen oder
mathematische Zusammenhänge niederschreiben und diskutieren oder ob
wir geistige Themen behandeln und im sprichwörtlichen Sinne nach
'Gott und der Welt' fragen, immer ist es jeder einzelne konkrete Mensch
selber, der sich mit der Materie beschäftigt. Wenn wir bei klarem
Verstand sind, können wir uns einbilden, zu verstehen (oder auch nicht
zu verstehen), wovon wir reden. In jedem Falle aber ist ja zunächst
einmal überhaupt nicht klar, ob unsere Gedanken tatsächlich den zu
besprechenden Themen angemessen sind, oder ob wir als Menschen vom
Prinzip her nur eine gewisse 'Einbildung' haben, die aber mit dem,
was wir als Realität vermuten / bezeichnen, vielleicht nur wenig
gemein hat.
Das hat jetzt evtl. ein wenig abgehoben geklungen aber Fakt ist, dass
wir, nachdem wir zunächst gar nichts über den Menschen selber wissen,
gar nicht vernünftig beurteilen können, ob die Gedanken, die ein
Mensch hat, irgend etwas bedeuten bzw. was sie ggf. bedeuten könnnten!
Man bemerkt, dass man auf diese Weise sofort in einer Sackgasse landet.
Wir haben also wohl nur die Möglichkeit, uns erst einmal ganz zuhig
hinzusetzen, keine grossen Fragen zu stellen und uns ganz elementar
auf uns selber zu konzentrieren: ich bin also ein Mensch. Wir wissen,
wie gesagt, zunächst einmal gar nicht, was das bedeutet, aber im Laufe
unseres Lebens hat die Biologie (in Form vererbter Eigenschaften
über die Eltern) und die gesamte restliche Umwelt offenbar dazu geführt,
daß wir uns jetzt einbilden können, ein Mensch zu sein. Wenn ich sage
'einbilden', klingt das natürlich etwas merkwürdig. Nein, in der Tat
bin ich mir sicher, ein Mensch zu sein.
Diese (triviale) Erkenntnis ist meiner Meinung nach erst einmal alles,
was wir haben.
3. O.k., ich bin ein Mensch aber was nun?
So, ich habe also gelernt, dass ich Hunger habe, wenn ich etwas zum
Essen brauche, ich habe vielleicht Angst vor Krankheiten oder einer
unsicheren Zukunft, ich freue mich über Dinge, die mir gelungen sind
oder wenn ich mich mit anderen Menschen austauschen kann. Damit
könnten wir ja eigentlich zufrieden sein und die Geschichte wäre an
dieser Stelle zuende. Nein, nicht die ganze Geschichte aber der
interessante Teil der Geschichte. Ich (und jeder andere Mensch auch)
würde wohl das Leben 'ganz normal' weiterleben mit all den Höhen und
Tiefen, bis dann eines Tages das natürliche Lebensende eintritt.
Und in der Tat ist dies auch alles, was man als Aussenstehender über
das hier stattfindende Leben berichten kann: der Mensch wird gezeugt,
geboren, lebt eine Zeit lang und stirbt. Es ist kein Unterschied zu
erkennen zwischen 'vorher' und 'nachher'. Das Wirken des Menschen
findet hauptsächlich während seines Lebens statt, mit ein paar kleineren
Ausnahmen: schon vor der Zeugung freuen sich die Eltern evtl. auf
ihr zukünftiges Kind und nach dem Tod sind die Mitmenschen meist
traurig, dass der Mensch nun nicht mehr da ist.
Also doch: endlich Ende der Geschichte.
4. Der Mensch beginnt zu denken
Niemand wird bestreiten können, dass der Lebensweg der meisten
Menschen abläuft, wie eben skizziert, auch wenn es gelegentlich
Abweichungen gibt: manchmal freuen sich die Eltern nicht über ihr
Kind, manche Menschen freuen sich, wenn andere sterben aber der
normale Vorgang ist das nicht.
Betrachten wir also den 'normalen' Vorgang. Ohne 'Denkapparat'
wäre der Mensch wohl einfach mit einem Tier zu vergleichen: es
gäbe sozusagen nur die 'niederen Instinkte' und der Mensch hätte
also keine Gelegenheit, in irgend einer Form über sich und das
Leben nachzudenken. Nun hat der heutige Mensch aber ein mehr oder
weniger gut ausgestattetes Gehirn und eine der herausragenden
Eigenschaften des denkenden Menschens ist offenbar, dass er alle
möglichen Fragen stellt. Die vielen Fragen, die man sich so
ausdenken kann, lassen sich z.B. in folgende zwei Kategorien
einteilen:
1. Wie funktionieren die Dinge, d.h. wie spielen sie zusammen?
2. Wo kommen die Dinge überhaupt her bzw. warum sind sie da und
warum sind sie so, wie sie sind?
Mit den 'Dingen' sind hier im weitesten Sinne alle möglichen
Erscheinungsformen der physikalisch 'greifbaren' Welt gemeint, so
wie sie der Naturwissenschaftler beschreibt, d.h. alle 'Dinge',
die unmittel- oder mittelbar irgendwie beobachtet werden können,
die also nachweislich irgendwie dieser Welt zuzuordnen sind.
Obige Fragen (vor allem die aus der Kategorie 1) entspringen zunächst
allerdings keinem Selbstzweck, sondern haben damit zu tun, die
'niederen Instinkte' zu befriedigen: ich will keinen Hunger haben,
ich brauche ein Dach über dem Kopf, ich will vielleicht tolle Urlaubs-
reisen machen. Von ganz allein wird sich die Welt um mich herum wohl
kaum um diese Dinge kümmern. Ja, solange man Kind ist, sorgen wohl
die Eltern für mich aber später muss ich das selber machen. Also wird
es von Vorteil sein, wenn ich ein paar Zusammenhänge begriffen habe:
wenn ich im Frühjahr ein paar Kartoffeln in die Erde stecke, werde ich
im Herbst ein Vielfaches an Kartoffeln ernten können und habe wieder
etwas zu essen. In der heutigen Welt muss sich natürlich nicht mehr
jeder Mensch selber in diesem direkten Sinne um seine Nahrung kümmern.
Das geschieht dann auf indirekte Weise: wenn ich mir die Erfahrungen,
das Wissen und die (wissenschaftlichen) Erkenntnisse, die andere
Menschen gemacht haben, zu eigen mache, kann ich das 'Weltgeschehen'
mit recht grosser Wahrscheinlichkeit so beeinflussen, dass für mich
etwas dabei herausspringt, sprich, ich kann dann höchstwahrscheinlich
einen Beruf ausüben, der es mir erlaubt, die oben erwähnten 'niederen
Instinkte' zu befriedigen.
5. Das Denken geht weiter
Mit diesen ersten 'Denkschritten' sind wir also schon ein ganzes
Stück vorangekommen aber trotzdem ist die Welt damit immer noch
lange nicht in Ordnung. Ein Problem ist, dass wir es trotz grösster
Anstrengung und Anwendung selbst der aktuellsten, uns im Moment
verfügbaren (wissenschaftlichen) Erkenntnisse nicht in jedem Fall
schaffen, unsere Ziele zu erreichen. Eine Krankheit ereilt uns, obwohl
wir doch vernünftig leben. Ein Verkehrsunfall ereignet sich und wir
sind machtlos gegen dessen Folgen.
Welche Möglichkeiten haben wir also? Wie sollen und können wir auf
diese Herausforderung reagieren? Nun, die Art unserer Reaktion wird
wahrscheinlich davon abhängen, wie schlimm wir betroffen sind.
Wenn's nur ein kleiner Blechschaden war, werden wir das evtl.
hinnehmen und gar nicht weiter nachdenken oder gar an der Welt
verzweifeln. Wenn's aber dramatischer ausgeht, werde ich womöglich
ins Grübeln kommen: warum musste der geliebte Mensch sterben?
Hätte man das nicht verhindern können? Warum betrifft das
ausgerechnet mich? Diese Fragen sind wohl ganz natürlich aber
nachdem wir oben vorausgesetzt hatten, dass es eben trotz 'Anwendung
selbst der aktuellsten, uns im Moment verfügbaren (wissenschaftlichen)
Erkenntnisse' zu dieser nicht gewollten Situation gekommen ist, macht
uns das erst mal ziemlich ratlos.
Spätestens an dieser Stelle kann es passieren, dass der Mensch nun
trotzdem versucht, eine irgendwie geartete Lösung des Problems zu
finden, obwohl oder gerade weil die Wissenschaft bzw. Vernunft (zumindest
im Augenblick) keine praktikablen Angebote mehr auf Lager hat.
Man mag dieses Verhalten dann 'unvernünftig' nennen aber dem Menschen
erschliesst sich einfach keine andere Möglichkeit. Die Arten dieser
derart praktizierten 'Unvernunft' können dabei sehr vielfältig sein.
Ein kleines Kind, welches sich vor den Eltern verstecken will, hält
sich vielleicht einfach die Augen zu, um nicht mehr gesehen zu werden.
Das ist vielleicht seine letzte Möglichkeit auszureissen, denn für's
physische Wegrennen reicht's halt einfach nicht, d.h. es hat alle
verfügbaren 'vernünftigen' Massnahmen der Flucht ausgeschöpft. Als
Erwachsene durchschauen wir das natürlich und finden das vielleicht
sogar noch amüsant.
Die Geschichte mit dem AIDS-kranken Afrikaner, der meint, durch den
Geschlechtsverkehr mit einer (gesunden) Jungfrau könne er geheilt
werden, finden wir aber gar nicht lustig. Dennoch ist wohl auch
dieser Mann zu dem Entschluss gekommen, dass dies wohl sein letzter
Ausweg sei.
Was können wir daraus lernen? Im wesentlichen dies: je besser wir über
die Zusammenhänge in dieser Welt Bescheid wissen, desto grösser ist
die Chance, vernünftige und für alle Seiten sinnvolle Entscheidungen
zu treffen. Unwissen oder (blinder) Glaube an rational nicht hinterfragte
Rituale oder Konventionen bergen die grosse Gefahr verheerender
Fehlentscheidungen. Wir müssen daher alles daran setzen, dass wir
unseren Verstand so gut es nur geht einsetzen, um über diese Welt so
viel wie möglich zu erfahren. Alles andere wäre grober Leichtsinn!
6. Ein Beispiel: Die Gerüchteküche explodiert
Anhand einer kleinen Szene, die ich vor kurzem in der S-Bahn erlebt
habe, möchte ich andeuten, wie schnell es offenbar passierenen kann,
dass die (nicht sofort zugängliche) Wahrheit einfach verschüttet wird
und durch ein Sammelsurium von sich zum Teil widersprechenden Aussagen
ersetzt wird.
Ausgangssituation war, dass sich die Abfahrt eines S-Bahnzugs unerwartet
verzögerte. Nach wenigen Minuten Wartezeit wurde eine kaum wahrnehmbare
Lautsprecherdurchsage (eigentlich war's eher eine 'Leissprecherdurchsage')
gemacht. Kurz darauf habe ich gehört, wie sich andere Fahrgäste miteinander
über die Situation unterhalten haben: von 5 Minuten Verzögerung bis zu
einer halben Stunde unfreiwilligem Aufenthalt oder sogar von Feuer in
einer der Haltestellen war die Rede, obwohl das bestimmt nicht der
Durchsage zu entnehmen war. Ich war wirklich erstaunt, mit welcher
Selbstverständlichkeit bzw. Sicherheit plötzlich diese Erklärungen im
Raum standen, obwohl doch keiner wirklich wissen konnte, was tatsächlich
geschehen war.
Die Folgen, die sich für einen Fahrgast nun daraus ergeben, wenn er
eine dieser 'erfundenen' Meldungen heranzieht anstatt der 'Leissprecher-
durchsage' sind in diesem Falle höchstwahrscheinlich nicht besonders
gravierend. Das Interessante an diesem Beispiel und das ist der Punkt,
auf den ich hier hinaus will, ist aber der, dass es mitunter anscheinend
ganz schnell passiert, dass die 'Wahrheit' verloren geht und stattdessen
die reine menschliche Phantasie an ihre Stelle tritt. Da muss noch nicht
einmal böse Absicht irgend einer der beteiligten Personen dabei sein. Es
liegt offenbar in der menschlichen Natur, dass so etwas passiert: es hat
möglicherweise nie wirklich gebrannt aber die Aussage steht im Raum und
wird von anderen Fahrgästen vielleicht zunächst für wahr gehalten und
ggf. weiterverbreitet.
7. Was soll oder kann man also glauben?
Die Geschichte mit der S-Bahn macht eines sehr deutlich: es kann
mitunter sehr schwierig sein, die 'Wahrheit' zu erkennen. D.h. der
Mensch steht eigentlich ständig und bei jeder Gelegenheit vor der
Frage, was er von dem oder jenem Umstand oder der oder jener Aussage
halten soll. Ein gesunder Mensch (einer, der also z.B. nicht unter
Halluzinationen leidet) kann sich zunächst einmal lediglich von
ein paar ganz wenigen Dingen selber überzeugen, nämlich von denen,
die er unmittelbar erfährt. Wenn er einige Bierchen in der Kneipe
trinkt, glaubt er wahrscheinlich, dass ihm das schmeckt, er weiss es
vielleicht sogar. Schon am nächsten Morgen ist die unmittelbare
Erfahrung nicht mehr gegeben und er glaubt jetzt vielleicht sogar,
dass die Bierchen gar nicht so gut waren! Aber Spaß beiseite, die
allerwenigsten Dinge können wir auf diese direkte Weise selber
erfahren. Die meisten Sachverhalte erreichen uns auf indirekte Weise:
andere Menschen erzählen uns oder schreiben uns (in Büchern) etwas
auf und wir können das glauben oder auch nicht. Es ist zunächst gar
nicht klar, nach welchen Massstäben wir unseren 'Glauben' orientieren
sollen. Wir haben nur wenige Möglichkeiten: entweder ein bestimmter
Sachverhalt ist uns eh egal, dann kümmern wir uns ggf. gar nicht
darum. Oder wir wollen wissen, wie es um eine Sache steht. Wenn dann
alle Leute, die wir für vernünftig halten und von denen wir glauben
können, dass sie sich mit dem Thema auskennen, die gleiche Meinung
haben, dann werden wir wohl geneigt sein, diese Meinung auch zu der
unsrigen zu machen.
Diese Strategie kann natürlich auch mal schiefgehen aber wenn irgend
möglich, sollten wir die wirklich kompetenten Leute befragen, anstatt
uns von irgend einem Scharlatan in die Irre führen zu lassen.
Im Laufe der Menschheitsgeschichte zeigt sich nun, dass es vor allem
die Denker, (Natur-)Forscher und Wissenschaftler waren und sind, die
durch ihr unermüdliches Fragen und Experimentieren der Natur immer
wieder neue Anworten entlocken. Interessanterweise tauchen aber auch
laufend immer wieder neue Fragen und Geheimnisse auf, die ungeklärt
sind. Dies kann aber natürlich kein Grund sein, das Fragen für beendet
zu erklären. Im Gegenteil, die einzig vernünftige Massnahme ist, zu
versuchen auch die neuen Fragen wieder zu beantworten.
Das kann man gut oder schlecht finden, Fakt ist jedenfalls, dass es
genau nur auf diese Weise gelungen ist, dass wir heute von unserer
Welt mehr wissen als je zuvor und dass viele Fragen, die früher völlig
ungelöst waren, heute schon von jedem Kind beantwortet werden können.
Auf diese Weise ist man im Moment z.B. in der Astrophysik zu der
Ansicht gekommen, dass sich unsere gesamte Welt mit allem wie sie
heute ist, vor sehr langer Zeit (mehrere Milliarden Jahre) irgendwie
aus einem einzigen winzigen Punkt heraus zu dem entwickelt hat, wie
sie heute ist. Das klingt in der Tat mehr als abenteuerlich und
sprengt jedes menschliche Vorstellungsvermögen aber dennoch ist
man sich unter den Wissenschaftlern einig, dass die Indizien genau
für diese Vorstellung sprechen.
Die Geschichte der letzten paar Jahrhunderte hat ja z.T. auch
eindrucksvoll gezeigt, welch schwierige Kämpfe es gelegentlich
gegeben hat, die 'Wahrheit' zu ergründen. Das geozentrische Weltbild
z.B. hat halt dann doch irgendwann abdanken müssen, nachdem
insbesondere die Vorhersagen über bestimmte Himmelsereignisse so
perfekt waren, dass man nicht mehr anders konnte, als den Leuten zu
glauben, die die Sonne in den Mittelpunkt gesetzt haben.
8. Spielt es überhaupt eine Rolle, woran ich glaube?
Zuletzt haben wir also gesehen, dass es sehr schwierig sein kann, die
'Wahrheit' zu finden und in der Tat wird es manchmal gar nicht möglich
sein, zu entscheiden, was die 'Wahrheit' nun ist. Insbesondere bei
Fragen, die man grundsätzlich niemals anhand eines Experiments oder
sonstiger direkter oder indirekter Beobachtungen beantworten können
wird, stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, weiter drüber
nachzudenken. Wenn es sich sozusagen um rein philosophische Fragen
handelt, kann es natürlich aus philosophischer Sicht sehr interessant
sein, sich damit zu beschäftigen. Wenn ich aber aus der Beantwortung
eben dieser philosophischen Fragen keinerlei praktischen Nutzen ziehen
kann, ist die Frage aus 'lebenspraktischer' Sicht eigentlich irrelevant.
Ich könnte mich z.B. dafür interessieren, ob gestern irgendwo in China
ein Sack Reis umgefallen ist. Möglicherweise ist das sogar geschehen,
vielleicht aber auch nicht. Im übrigen ist das eine Frage, wo man sich
noch vorstellen könnte, dass sie auch prinzipiell beantwortbar ist.
Bloss müsste man halt etliche Chinesen befragen und das könnte halt
etwas länger dauern. Aber egal, ob der Sack Reis gestern umgefallen ist
oder nicht, hat das auf mein Leben (und das der meisten anderen
Menschen auch) offenbar keinen erheblichen Einfluss. Wenn mir
langweilig ist, kann ich diesen Sack in mein tägliches Leben einbauen
und den ganzen Tag über sinnieren, ob dadurch die gesamte Weltordnung
nicht doch ins Wanken geraten ist. Als vernünftiger Mensch werde
ich das Thema aber so schnell wieder vergessen, wie es aufgetaucht ist
und mich wieder den viel wichtigeren aktuellen Tagesthemen widmen.
Für mein Leben viel wichtigere Fragen sind z.B. die weiter oben schon
erwähnten Fragen der Befriedigung der 'niederen Instinkte'. Die
korrekte Beantwortung dieser Fragen hat sehr wohl eine große
Bedeutung. 'Ungeschickte' Antworten können sich dabei auf mein Leben
äußerst negativ auswirken, z.B. wenn ich etwa glaube, ich müsste
stark befahrene Strassen oder sogar Autobahnen zu Fuß überqueren, ohne
nach links oder rechts zu schauen. Dies könnte meinem Leben ein
unerwartet frühes Ende bereiten!
Es spielt für mein Leben hier also durchaus eine entscheidende Rolle,
woran ich im täglichen Leben so glaube.
Übrigens: wenn wir hier davon reden, ob es wichtig ist, im Leben hier
an dies oder jenes zu glauben, dann ist damit immer gemeint, ob es
wichtig für mein oder allgemein unser Leben ist. Es könnte auf der
Welt ja noch weitere Fragen geben, die in irgend einem uns ggf. gar
nicht bekannten Sinne viel wichtiger sind, als alles, was uns kleine
Menschen überhaupt jemals betreffen könnte. Ich meine, es könnte ja
Fragen oder Themen geben, die uns Menschen gar nicht betreffen oder
wo wir eine derart untergeordnete Rolle spielen, dass man uns gar
nicht berücksichtigen kann oder will. Von solchen Fragen ist hier
aber nicht die Rede.
9. Gibt es noch weitere 'viel wichtigere aktuelle Tagesthemen'?
Wenn man sich das genau überlegt, geht es eigentlich immer noch um die
Befriedigung der 'niederen Instinkte'. Ja, seit der Mensch begonnen
hat, zu denken, hatten zunächst die weiter oben erwähnten Fragen der
Kategorie 1 (Wie funktionieren die Dinge, d.h. wie spielen sie
zusammen?) eine ganz wesentliche Rolle gespielt, weil die Beantwortung
dieser Fragen schon einen deutlichen Komfort in das tägliche Überleben
gebracht hat.
Gleichzeitig aber tauchen schliesslich die Fragen aus Kategorie 2
auf: wo kommen die Dinge überhaupt her bzw. warum sind sie da und
warum sind sie so, wie sie sind?
Diese Fragen drängen sich geradezu auf, weil wir oben gesehen hatten,
dass man mit dem täglichen Leben immer noch Probleme hat, selbst bei
bestmöglicher Beantwortung der Fragen aus Kategorie 1.
Ob es überhaupt sinnvoll ist, die Fragen aus Kategorie 2 zu stellen,
ist nicht klar. Klar ist nur, dass man als Mensch geneigt ist, sie
zu stellen. Man hat bei den Fragen aus Kategorie 1 gelernt, dass es
sehrwohl nützlich ist, Zusammenhänge, also das Prinzip von Urasche und
Wirkung zu erkennen, um daraus für das tägliche Leben Nutzen zu ziehen.
Weil das (zumindest teilweise) so erfolgreich war, ist man geneigt,
sozusagen nach der letzten Ursache zu suchen, um den Rest vielleicht
doch noch (besser) zu verstehen. Fakt ist aber auch, dass heute kein
Mensch erklären kann, wo die Welt herkommt, so interessant das auch
wäre. Ebensowenig kann man einen offensichtlichen Nutzen oder Grund
für die Existenz der Welt sehen. Es hätte ja vielleicht auch gar
nichts geben können. Man fragt sich, warum dies nicht der Fall ist.
Letztendlich wird es aber so sein, dass wir die Existenz der Welt
einfach akzeptieren müssen, ob es uns passt oder nicht, Punkt.
Jeder Mensch, der sich wirklich ernsthaft hinstellt und behauptet, dass
er weiss, wie das alles zusammenhängt, ist entweder krank, will uns
bewusst anlügen oder lügt sich selber an. Natürlich steht man staunend
da, wenn man das alles so sieht: die vielen Elemtarteilchen mit ihren
merkwürdigen Eigenschaften, ein so riesiges Weltall und irgendwo
da drin ein etwas abgekühlter Gesteinsball mit einer Sauerstoffhülle,
auf dem sich die Atome und Moleküle in so merkwürdiger Anordnung
zusammengefunden haben und immer wieder zusammenfinden und ihr
merkwürdiges Spielchen treiben, das wir Leben nennen.
So, eigentlich hätten wir damit so alle 'wichtigen aktuellen
Tagesthemen' durch und müssten wohl endlich zur ganz normalen
Tagesordnung übergehen, wäre da nicht noch so eine Kleinigkeit, um die
sich die Menschen wohl auch schon immer Gedanken gemacht haben: was
wird sein, wenn ich gestorben bin? Und es scheint so, als überstrahle
diese Frage mit ihrer Grösse viele der anderen 'wichtigen aktuellen
Tagesthemen'
10. Also: wie ist das mit dem Leben nach dem Tod?
Um das gleich vorweg zu klären: ich maße mir nicht an, bei dieser
Frage besser Bescheid zu wissen, als alle anderen Menschen. Ich
werde lediglich versuchen, meine Sicht der Dinge darzulegen und will
versuchen, dies so 'vernünftig' wie möglich zu tun.
Als Schüler, so etwa in der 10-ten Klasse, habe ich vor vielen Jahren
im Chemieunterricht erfahren, dass alles auf der Welt aus Atomen bzw.
Molekülen aufgebaut ist, wirklich ALLES. Das war für mich ein Schock.
Ja, das Wasser kann meinetwegen H2O heissen, der Sand SiO2 aber dass
auch ich selber aus nichts weiter bestehe als aus diesen billigen
Bausteinen, das war hart. Ich habe mich beim Lehrer und bei meinen
Eltern nochmal versichert: ja, das ist so. Das haben die Wissenschaftler
herausgefunden. O.k., wenn man mich nicht gleich in Atome zerlegt,
sondern die grösseren Moleküle heil lässt, dann wird's vielleicht
nicht ganz so billig, denn ein paar Substanzen wären ganz schön teuer,
ein kleiner Trost also...
Was sollte ich machen? Ich musste es akzeptieren: nur lauter Atome und
Moleküle. Und meine Gedanken und Gefühle, wo kommen die dann her? Die
waren und sind ja trotzdem da. Wie kann das sein? Spürt das Wasser
vielleicht auch etwas? Kann der Sand vielleicht auch denken und es
merkt bloss keiner? Viele Fragen schossen mir durch den Kopf aber
wirklich erklären konnte mir kein Mensch, wie das alles gehen sollte.
Wenn ich als Kind einen Nachmittag lang vor meinem Metallbaukasten saß,
konnte ich aus einfachen Teilen komplizierte Apparate bauen: einen Kran
oder ein Auto, letzteres vielleicht sogar mit einem Differentialgetriebe
(da hat mir aber dann mein Vater ein bisschen geholfen). Immer waren
auch beim komplizierten Apparat noch die einfachen Teile und deren
Eigenschaften zu sehen: er glänzte genauso metallisch, man sah die
einzelnen Löcher, die für die Schrauben vorgesehen waren. Aber
gleichzeitig hatte der komplizierte Apparat neue Eigenschaften, die man
den einfachen Teilen so nicht ansah: er konnte z.B. fahren, gerade aus
oder in die Kurve oder wenn's ein Kran war, konnte er Lasten heben:
Dinge bzw. Vorgänge, die erst beim komplizierten Apparat überhaupt
zutage treten aber doch schon irgendwie mit den einfachen Teilen
zusammenhängen, denn aus denen ist der komplizierte Apparat ja
schliesslich aufgebaut.
Der aufmerksame Leser ahnt vielleicht schon, in welche Richtung sich
meine Gedanken dann weiterentwickelt haben. Ja, so war es: wenn ich
wirklich aus Atomen bzw. Molekülen aufgebaut bin, dann bin ich
vielleicht der Kran oder das Auto und kann Eigenschaften haben, die
man den Atomen oder Molekülen so nicht ansieht. Wenn der Chemiker
Wasserstoff und Sauerstoff zur Reaktion bringt, dann tut's vielleicht
einen Knall und das, was dabei entsteht, nämlich das Wasser, hat
plötzlich auch ganz andere Eigenschaften als die Einzelteile vorher
noch. So scheint das also zu sein. Und in der Tat habe ich mich mit
dieser Vorstellung immer mehr arrangiert. Ich habe durch die neue
Kenntnis (dass ich also aus Atomen bzw. Molekülen aufgebaut bin)
ja nicht plötzlich meine normalen, menschlichen Eigenschaften alle
verloren. Ich konnte immer noch denken und fühlen, nur halt jetzt mit
dem zusätzlichen Bewusstsein, dass das Ganze irgendwie mit den Atomen
bzw. Molekülen (auch noch) zusammenhängt. Wie, das war völlig unklar
aber dass es so wahr, konnte ich ja nicht leugnen.
Man wird jetzt fragen, ob mich nicht z.B. der Religionsunterricht
auf andere Gedanken gebracht hat und in der Tat hat er das aber
die Sache ist eigentlich noch schlimmer geworden. Meine logische
Gedankenfolge wurde dadurch nicht durchbrochen, im Gegenteil, es
sind viele weitere merkwürdige Fragen bzw. Widersprüche aufgetaucht,
dazu aber später mehr.
Also, nachdem ich genügend lang mit dem Auto gespielt hatte, habe
ich es wieder zerlegt und etwas anderes gebaut, diesmal vielleicht
eine Getreidetrocknung. Die gleichen einfachen Teile, die soeben
noch das Auto ausmachten, hatten plötzlich ganz neue Funktionen.
So einfach war das. Die Getreidetrocknung konnte nicht fahren aber
man konnte ein paar Körner hineinlegen und mit einem Propeller
Luft hindurchblasen, auch nicht schlecht.
Und wieder wird der aufmerksame Leser ahnen, wo die Reise hingeht:
ja, wenn ich mal nicht mehr lebe, werden einige der Moleküle, die
momentan noch zu mir gehören ganz woanders sein, vielleicht in einer
Pflanze oder einem anderen Lebewesen, vielleicht auch einem Menschen.
So scheint das alles hier abzulaufen.
Und mitten in dieser schönen Geschichte sagt jetzt jemand: o.k.,
das Auto ist jetzt nicht mehr da, Du kannst jetzt nicht mehr mit ihm
spielen. Aber Du kannst Dir vorstellen, es wäre noch da. Ist das nicht
ein bisschen, als ob Du noch damit spielen könntest? Verstehe ich
nicht, jetzt hab ich doch meine Getreidetrocknung. Die funktioniert
doch prima. Ja klar, wenn ich auch noch ein Auto hätte, wäre das
sehr schön aber erstens freue ich mich jetzt über die Trocknung und
weil ich zweitens nur einen kleinen Metallbaukasten habe, kann ich
halt nicht alles gleichzeitig haben. Was ist da jetzt so dramatisch?
Und diesmal wird der aufmerksame Leser zwar verstehen, was ich meine,
ich kann mir aber gut vorstellen, dass er einfach anderer Meinung ist.
Warum? Weil in unserer Kultur jedem (christlichen) Kind schon in sehr
jungen Jahren beigebracht wird, dass das Leben nach dem Tod nicht
selbsverständlich zuende ist. Diese Vorstellung scheint dermassen
negativ vorbesetzt, dass man sie ganz weit weg schiebt und überhaupt
nicht daran denken will. Dabei gibt es bis auf den heutigen Tag
keinerlei irgendwie gearteten Hinweise auf so etwas wie eine
(unsterbliche) Seele. Man kann, zumindest in dieser, uns zugänglichen
Welt nicht so etwas wie eine 'Seelensubstanz' ausmachen. Man kann
nicht ein Pfund oder ein paar Milligramm Seele abschneiden und sich
wie beim Metzger einpacken lassen und mitnehmen. Zumindest hat das
noch kein Mensch gemacht. Es scheint im Gegenteil ganz einfach zu sein:
solange der Apparat 'vernünftig' (was auch immer das heisst) zusammen-
spielt, sprich, der Mensch gesund ist, hat er alle Eigenschaften eines
normalen Menschen: er kann atmen, gehen, denken, hat ein Bewusstsein.
Schon kleinste Mengen von Gift (z.B. Alkohol) können durch rein
materielle, d.h. chemische Vorgänge im Gehirn, massive Bewusstseins-
veränderungen hervorrufen. Der Geist kann sich nicht von der Materie
lösen, sondern im Gegenteil: die beiden Erscheinungen (Chemie des
Gehirns und Bewusstsein) hängen irgendwie innnigst zusammen. Dies
muss man zur Kenntnis nehmen. Wenn der Mensch wieder in seine Einzel-
teile zerlegt wird, ist zwar das gesamte 'Material' noch da aber die
zuvor noch vorhandenen Erscheinungen sind halt einfach nicht mehr zu
sehen. Die grundsätzliche Anlage für diese Erscheinungen schlummert
wohl noch in der Materie aber diese Erscheinungen treten bei so
einfacher Anordnung wie beim Wassermolekül einfach nicht zutage. Da
muss schon eine (menschliche) DNA kommen und das Kommando übernehmen,
damit sich die 'billigen Bausteine' wieder zu einem ganz normalen
Menschen zusammenfügen.
Natürlich kann man trefflich philosophieren darüber, ob der Mensch
nicht doch eine Seele hat (was auch immer das sein mag) aber erklären
kann man damit gar nichts. Im Gegenteil, es treten nur noch mehr
ungeklärte Fragen auf: wann entsteht denn die Seele überhaupt?
Bei der Zeugung? Oder ist sie vielleicht schon vorher da? Warum
eigentlich nicht? Was passiert denn bei der Zeugung, dass da plötzlich
eine Seele auftaucht? Haben eigentlich Tiere auch eine Seele? Tiere
können ja zumindest Schmerz empfinden und sich wahrscheinlich auch
wohl fühlen. Wäre das nicht ein Indiz für eine 'kleine' Seele?
Es ist halt wohl einfach so, dass die (Natur-)Wissenschfaft nichts
mit einer Seele anfangen kann. Es ist gewiss auch so, dass man noch
lange nicht verstanden hat, wie das menschliche Gehirn wirklich
funktioniert aber einfach mal so eine Seele zu postulieren, mit der
man rein gar nichts erklären kann und die nur lauter Fragen aufwirft,
bringt einen nicht wirklich weiter, wenn man 'vernünftig' bleiben will.
Dies ist natürlich kein Beweis dafür, dass es keine Seele gibt aber
es ist halt einfach so, dass man bei 'vernünftiger', logischer
Betrachtung nicht dazu kommt, eine Seele zu postulieren. Michael
Pauen hat sich in seinem Buch 'Was ist der Mensch' ausführlich
mit diesem Themenkomplex beschäftigt.
11. Die Leute erzählen noch weitere Geschichten
Noch bevor ein Kind also anfangen kann, selbstständige Gedanken zu
entwickeln, muss man es natürlich erst einmal mit einer ordentlichen
Menge an 'Grundwissen füttern'. Da geht's nicht immer drum, alles lang
und breit zu erklären, weil ggf. einfach das Verständis noch nicht da
ist bzw. sein kann. Soweit möglich, ist es selbstverständlich sinnvoll,
zu versuchen, dem Kind zu erklären, worum's geht. Das wird aber nicht
in jedem Fall funktionieren. Wenn's draussen kalt ist, wird es eben warm
eingpackt, damit's nicht erfiert. Um wieder das Beispiel mit der Straße
zu erwähnen: das kleine Kindlein hat dort ohne 'Aufsichtspersonal'
nichts verloren, weil es dort viel zu gefährlich ist. Eltern müssen in
vielen Bereichen ganz klare Ansagen machen, damit die Sache nicht
gleich am Anfang daneben geht. Und das Kind tut gut daran, nicht jede
einzelne Ansage oder Anordnung der Eltern zu hinterfragen oder sogar
sich zu verweigern, weil die Eltern im Normalfall das Beste für das
Kind wollen und ein Nichtbeachten der elterlichen Regeln eben nicht
nur eine (harmlose elterliche) Strafe nach sich ziehen kann, sondern
eine ernsthafte (Lebens-) Gefahr für das Kind bedeuten kann.
Soweit, so gut, gäbe es da nicht gleichzeitig viele weitere
'Geschichten', die man gelegentlich einem Kind beibringt, deren
Wahrheitsgehalt eher von zweifelhafter Natur ist. Nachdem es sich für
das Kind aber erst einmal als günstig erweist, die 'Geschichten' der
Eltern kritiklos zu glauben, haben wir ein Problem. Selbst wenn klar
ist, dass es wirklich nur eine Geschichte ist, kann man das Kind
damit erschrecken. Ich erinnere mich z.B. an den Struwwelpeter. Über
den didaktischen Wert dieses Buches wird man vortrefflich streiten
können. Aber in jedem Fall war ich damals ziemlich schockiert, dass
da der Schneider kommt und dem Daumenlutscher einfach den Daumen
abschneidet. Das ist doch unmenschlich. O.k., nach einiger Zeit
kapiert man dann, dass das wirklich nur eine Geschichte ist und
dass man halt als grosser Junge eigentlich nicht mehr am Daumen
lutschen sollte und das war's dann.
Noch ein bisschen anders sieht es aber nun mit vielen der Geschichten
aus, die man (oder speziell auch ich) über den Religionsunterricht
vermittelt bekommen hat. Ja, eigentlich hat es schon vor der Schule
mit dem 'Christkind' begonnen. Ich weiss nicht mehr genau, wie alt
ich damals war, aber ich glaube, ich war noch nicht in der Schule.
Jedenfalls habe ich irgendwann begonnen, mir darüber Gedanken zu machen.
'Das Christkind' kommt am Abend des 24. Dezember zu meinen
Geschwistern und zu mir und bringt Geschenke. 'Das Christkind' kommt
am Abend des 24. Dezember zu allen meinen Nachbarn im Dorf und bringt
Geschenke. 'Das Christkind' kommt am Abend des 24. Dezember auch zu
allen anderen Kindern auf der Welt und bringt Geschenke. Irgendwie
konnte ich das nicht verstehen: ist es wirklich so schnell oder gibt's
vielleicht doch mehrere Ausgaben davon? Kann das sein? Ich versteh's
nicht! Auf hartnäckiges Nachbohren hin bei meinen Eltern, sind diese
schliesslich eingeknickt: ja also, schau mal her... Der Rest der
Erklärung war dann zwar ein wenig desillusionierend aber letztendlich
war ich erleichtert, dass die Welt doch in Ordnung ist und meine
Befürchtungen und Zweifel eben keine Täuschung waren, sondern:
MAN HATTE MICH SCHLICHTWEG ANGELOGEN!! (wobei ich nicht unterstellen
will, dass das mit böser Absicht geschehen ist)
Kommen wir also endlich zum Religionsunterricht. Da hat man uns ein
Buch gegeben: 'DER GUTE HIRTE'. Und dort stehen wirklich viele sehr
interessante Dinge drin. Ich habe als braver und fleissiger Schüler
natürlich versucht, alles zu verstehen und ich kann jetzt sehr
erleichtert sagen, dass ich wenigstens jetzt, also etwa 40 Jahre
später, diesem ganzen Spuk für mich ein Ende bereitet habe.
Was ist geschehen? Das Buch beginnt zu erzählen vom Hirten, der sich
um seine Schafe kümmert. Ich bin auch eines seiner Schafe. Dann ist
vom Heiland die Rede. Das ist vielleicht der gleiche wie der Hirte.
Dann gibt's auch Engel, 'Ob nah, ob fern, sie sind da wie der Blitz.
Wenn Gott winkt, haben sie schon getan, was er will. Darum malen wir
die Engel mit großen Flügeln.' Dann ist natürlich auch von Gott die
Rede, der die ganz Welt und auch mich gemacht hat: 'Gott hat alles
geschaffen: die Sonne und die Sterne, die Erde und das Meer, die
Tiere und die Blumen, dich und mich. Unser Gott ist allmächtig.
Er kann schaffen, was er will.'
Ich habe als Kind bzw. Schüler erst einmal wirklich alles geglaubt,
was man mir im Religionsunterricht auf diese Weise beigebracht hat:
dass Gott die Welt erschaffen hatte oder dass Gott allmächtig ist
z.B.. Ich war auch der festen Überzeugung, dass ich, wenn ich einmal
nicht mehr leben werde, in Wirklichkeit bei Gott sein werde. So wurde
es mir beigebracht. Als evangelisches Kind habe ich nichts erfahren
vom Fegefeuer oder der Vorhölle oder solchen Sachen. Nein, wenn ich
wirklich reuig bin, werden mir alle meine Sünden vergeben werden und
Gott wird mich am Jüngsten Tag zu sich aufnehmen. Die Welt war in
Ordnung.
Eine Zeit lang hatte ich aber ein ganz schlechtes Gewissen. Ich
wusste, dass Gott alles sieht, auch meine Gedanken. Ich wusste auch,
dass ich keine bösen Gedanken haben darf. Da hab ich drüber
nachgedacht, welche Gedanken das wohl sein könnten, ich wollte sie
ja vermeiden. Mir ist z.B. eingefallen, dass ich so schlimme Dinge
denken könnte wie: Gott ist aber manchmal ganz schön gemein, denn
ab und zu werden Menschen sehr krank und müssen leiden aber die
können doch gar nichts dafür. Der allmächtige Gott müsste sich doch
um diese armen Menschen kümmern und macht's aber nicht. Also ist
er vielleicht doch gemein? Damit hatte ich aber nun ein massives
Problem, denn ich hatte offenbar was böses gedacht. Gott ist nicht
gemein, Gott ist gut. Aber weil ich jetzt so schlimme Sachen
gedacht habe, wird er mich vielleicht nicht mehr lieben!
Ich weiss heute nicht mehr, wie ich aus dieser Zwickmühle heraus-
gekommen bin. Vielleicht hat man mich getröstet und mir erklärt,
dass mich Gott trotzdem lieb hat und wenn ich ein braver Junge
bin, brauche ich mir keine weiteren Sorgen zu machen...
Dies konnte mich vielleicht für den Augenblich über meinen Kummer
hinwegtrösten, der zugrunde liegede elementare Widerspruch war
damit aber in keiner Weise gelöst.
12. Die Geschichten passen nicht so recht zusammen
Aber im Laufe der Zeit habe ich immer mehr nachgedacht. Und wie schon
mit dem Christkind, bin ich auch hier auf zahllose Ungereimtheiten
gestossen, die mir niemand erklären konnte: wie kann es sein, dass ein
allmächtiger Gott zuerst Menschen erschafft, für die er ja wohl die
volle Verantwortung trägt und dann aber plötzlich so erzürnt über sie
ist, dass er eine riesige Flut schickt, um sie wieder zu vernichten?
War er wirklich überrascht über die Menschen? Dann ist er wohl nicht
allwissend (ich kann's jetzt nicht 100%-ig sagen, aber ich glaube,
Gott wurde uns nicht nur als allmächtig, sondern auch als allwissend
verkauft). Wenn er aber allwissend ist, dann war das eine ziemliche
Gemeinheit, erst so arme Menschen zu erschaffen, um sie dann einfach
zu ersaufen. Sowas macht man doch nicht! Ich hatte ja schon Probleme
mit dem abgeschnittenen Daumen! Aber das mit dem Ersaufen ist der
Gipfel!
Aber egal, da hab ich die Geschichte wohl einfach nicht ganz richtig
verstanden. Reden wir von etwas anderem: ich hatte gelernt, dass das
Versagen von Adam und Eva dazu geführt hat, dass ich und alle anderen
Menschen auch, nicht mehr im Paradies sind. Ich hatte das wirklich
geglaubt! Ich kann mich wirklich erinnern, dass ich mich über Adam
und Eva geärgert habe, weil die mir mein schönes Leben versaut hatten!
Ja, so war es. Was ist denn das für ein Gott, der so eine riesige
Ungerechtigkeit zulässt. Ich bin bestimmt ein braver und fleissiger
Schüler gewesen (ich hatte es schon erwähnt), andere Menschen waren
sicher auch so brav und fleissig wie ich aber trotzdem, nur weil 2
Menschen evtl. einen Schmarrn gemacht haben, müssen das viele
Milliarden Menschen ausbaden. Kann das wirklich so gemeint sein?
Dann Lots Frau. Die war natürlich entsetzt, dass ihre Freunde und
Bekannten dort in der brennenden Stadt auf erbärmliche Weise ums Leben
kamen. Ihr Hab und Gut war natürlich auch mit dabei. Weil sie es nicht
glauben konnte, was da los ist und sie sich also nochmal umgedreht
hat, wurde sie von Gott zur Salzsäule gemacht. Eine nette Geste!
So liessen sich noch etliche Geschichten aufzählen, mit denen ich
ernsthafte Schwierigkeiten hatte. Doch niemand konnte mir helfen.
Ich weiss nicht mehr, wann ich ernsthaft begonnen habe, all diese
Geschichten als schlimme Schauermärchen einzordnen, die mit meinem
Leben und unserer Welt nichts zu tun haben. Es war jedenfalls ein
langer Prozess und heute bin ich froh, dass ich das alles hinter mir
gelassen habe. So weit war ich damals aber noch nicht. Da gibt es
eine wahre Begebenheit, die mich heute noch betroffen macht: ich
erinnere mich, dass meine Mutter eines Tages von einer Beerdigung
nach Hause kam. Ich fragte sie, wieso sie denn jetzt so traurig sei,
der Mensch, der gestorben war, ist doch jetzt sicher bei Gott? So
ist das doch, oder? Ja, sagte sie mir, sie ist vielleicht nur ein
bisschen eigensüchtig, sie ist halt trotzdem traurig, dass der Mensch
jetzt nicht mehr da ist. Ich hatte es offenbar nicht so recht
verstanden oder verstehen wollen. Nein, sagte ich, es ist doch so,
dass jeder Mensch, wenn er stirbt, von Gott aufgenommen wird. Dann
müssen wir uns keine Sorgen mehr machen um die Welt hier und alles
ist gut. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob ich damals ernsthaft
vorgeschlagen oder nur gedacht hatte, dass es ja eigentlich nur
konsequent wäre, wenn man nicht erst darauf wartet, bis die Menschen
von alleine sterben, sondern, dass man da ja eigentlich nachhelfen
müsste. Denn wenn das Leben hier eh nur eine äusserst mühsame
Durchgangsstation ist, dann sollte man doch den Aufenthalt hier nicht
unnötig in die Länge ziehen!?
Das muss man sich wirklich vorstellen: ich habe als Kind ernsthaft
solche Gedanken gehabt. Heute nimmt man an, dass die Todesflieger
von New York ähnliche Gedanken hatten, als sie die Flugzeuge in die
Wolkenkratzer jagten. Ich bin entsetzt. Und alles nur, wegen dieser
verdammten Lügen, die man mir und wahrscheinlich auch den Terroristen
beigebracht hat!!
13. Die Geschichten sind noch nicht zuende
O.k., kann man jetzt sagen, das waren alte Geschichten vom Alten
Testament und das mit der 'mühsamen Durchgangsstation' hier habe ich
wohl ein wenig überinterpretiert. Das ist alles mehr als Gleichnis
gedacht. Das darf ich nicht so wörtlich nehmen. Ist doch klar.
O.k., dann hab ich das wohl einfach falsch verstanden. Offenbar haben
andere Menschen da wesentlich besseren Einblick in die Zusammenhänge
und ich mache mir unnötig Sorgen. Fragt sich allerdings, warum mir
das dann alles so beigebracht wurde, wenn es doch gar nicht so gemeint
war? Und das kann auch wieder keiner erklären.
Aber ich war ja noch nicht zuende. Ich sollte mich also mehr mit
der aktuellen Situation beschäftigen. Gut, dann versuche ich mal zu
verstehen, was ein guter Christ heute glauben soll. Ein paar Dinge,
die mir spontan einfallen:
Jesus ist der Sohn einer Jungfrau, wirklich, eine Jungfrau, nicht
einfach eine junge Frau, nein eine Jungfrau. Bei Pflanzen kennt man
das Phänomen der ungeschlechtlichen Vermehrung. Kartoffeln werden
üblicherwseise so vermehrt. Die neuen Kartoffeln sind praktisch
identische Kopien der alten Kartoffel, weil keine genetische
Vermischung stattfindet. Bei Tieren kennt man sowas, glaube ich,
nicht. Auch beim Menschen hat man sowas noch nie beobachtet. Falls
es aber doch jemals gelingen sollte, einen Menschen zu klonen, dann
ist es eben ein Klon. Eine Frau könnte dann aber nie einen Jungen
'zeugen'. Wo kam also bei Jesus das Y-Chromosom her? Ja, vom
Heiligen Geist. Glauben vernünftige Menschen wirklich sowas? Gibt
es wirklich normal denkende Menschen, die daran glauben, dass so
etwas vor etwa 2000 Jahren auf dieser Erde stattgefunden hat?
Ich kann es nicht glauben.
Jesus wird hingerichtet und damit können nun meine Sünden vergeben
werden. Erstens ist ja gar nicht klar, ob ich überhaupt gesündigt habe
aber man hat es mir eingeredet. Die Schriften versuchen, mir klar zu
machen, dass ich einfach schon von Geburt an einen schweren Makel habe,
ich glaube 'Erbsünde' heisst das. Irgend welche Beweise gibt's da
nicht dafür aber schon dem Kindlein wird das eingetrichtert. Am Ende
glaubt man es. Schlimm genug. Und nun wird einer, der halb Mensch
oder halb Gott oder doch beides ist, an einem Kreuz hingerichtet und
durch diese Greueltat soll es plötzlich möglich sein, dass ich von
dieser 'Erbsünde' befreit bin! Gibt es Menschen, die sich so etwas
allen Ernstes vorstellen können, ja dies wirklich für Realität halten?
Ich kann es nicht.
Jesus war zwar tot aber plötzlich wird er wieder lebendig. Ah, ich
glaube, nicht die Hinrichtung, sondern die Tatsache, dass er wieder
lebendig geworden ist, hat sich günstig auf mein Schicksal ausgewirkt.
So genau weiss ich das aber nicht mehr. Wenn nur ein zentrales Organ
des Menschen seine Funktion einstellt, etwa das Herz, dann ist der
Tod nicht mehr fern. Das Gehirn wird nicht mehr mit dem nötigen
Sauerstoff versorgt und die gesamte 'Maschinerie' hört auf zu
funktionieren. Dies ist aller menschlichen Erfahrung nach ein nicht
umkehrbarer Prozess, das Leben wird nicht mehr zurückkehren. Dennoch
will man mir einreden, dass mit Jesus ganz sonderbare Dinge passiert
sind und er völlig unerwartet wieder lebendig geworden ist. Glauben
die Menschen das wirklich? Ich habe als junger Mensch erlebt, wie
eine meiner (betagten) Urgrossmütter gestorben ist. Sie war ein für
alle mal tot. Ich habe sie nicht wieder aus dem Grab aufstehen sehen,
bis heute nicht. Ich kann nicht an eine Wiederauferstehung glauben.
Beim Abendmahl wird Wein und Brot zu Blut und Leib Christi, wenn ich
das richtig in Erinnerung habe. Es ist ja schon merkwürdig genug, dass
ich mir vorstellen soll, dass es offenbar eine ganz sonderbare
Umwandlung von Wein und Brot zu Blut und Leib Christi gibt, nur weil
man sich zum Abendmahl versammelt und die Anwesenden vielleicht beten.
Noch viel makabrer wird es aber, wenn ich diese Dinge dann auch noch
essen soll. Ich bin doch kein Kannibale! Apropos Kannibalen. Diese
haben ja wohl hauptsächlich ihre Feinde oder Gegner verspeist aber
dass ich ausgerechnet meinen höchsten Gott aufessen soll, das ist
durch nichts zu überbieten!
Es gäbe noch viele weitere Beispiele, mit denen ich massive Probleme
habe aber ich erspare mir das jetzt. Ich möchte fast schon sagen:
schade um die Zeit, sich mit derlei Dingen ernsthaft zu beschäftigen!
Nebenbei bemerkt, hätte ich als Katholik wohl noch ein bisschen mehr
zu bemängeln gehabt. Allein so irrwitzige Dinge wie die Unfehlbarkeit
des Papstes oder das mit dem Zölibat zeugen von einer dermassen
erschreckenden Weltfremdheit, dass man sich ernsthaft Sorgen um den
Geisteszustand der Kirchenvorderen machen muss! Oder was ist mit
der Ungleichbehandlung von Mann und Frau in der katholischen Kirche?
Kann man diese Ungleichbehandlung eigentlich aus der Bibel ableiten?
Bei etwas genauerem Hinsehen ist das aber gar nicht so schlecht: so
wird wenigstens verhindert, dass auch Frauen in dieses absurde
(Kirchen-) Theater in gleicher Weise mit hineingezogen werden!
14. Die Widersprüche treten allmählich in den Hintergrund
Für einen einigermassen logisch denkenden Menschen, zumindest aber
für mich selber, sind die bisher beschriebenen Fakten und Szenarien
schwer zu ertragen. Auf der einen Seite ist man von Kind auf mit
diversen religiösen Zusammenhängen und Begebenheiten konfrontiert
worden, so dass diese Dinge zunächst einmal ganz fest und tief
verwurzelt sind. Andererseits sind dort drin aber so viele Ungereimt-
heiten und Widersprüche enthalten, dass man sich schwer vorstellen
kann, dass das mit unserer Wirklichkeit etwas zu tun hat.
Alles, was die Religion zustande gebracht hat ist, mich total zu
verunsichern. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, ich sei ein schlechter
Christ (und wahrscheinlich auch ein schlechter Mensch), weil ich
die Märchen einfach nicht glauben kann. Kurz, es ist tatsächlich so,
wie Richard Dawkins sagt: ich habe die Religion als Kindesmisshandlung
erlebt. Ich rede jetzt gar nicht davon, dass man mich als Kind
mehr oder weniger regelmässig in den Gottesdienst geschleppt hat,
wo man still sitzen musste und nicht reden durfte. Das waren
Kleinigkeiten. Es geht mehr um die bereits angesprochenen Widersprüche,
mit denen ich nicht zurecht gekommen bin.
Ich hatte mir sogar als Schüler eine moderne Übersetzung der Bibel
gekauft (von Jörg Zink war die), damit ich endlich verstehen konnte,
wie das alles gemeint sein könnte aber: Fehlanzeige. Wieder wurde
z.B. seitenlang von Menschen berichtet, die ewig durch die Wüste
gezogen sind. Ich habe diese Lektüre dann recht bald wieder beiseite
gelegt, weil ich damit auch nicht schlauer geworden bin.
Während des Studiums und im Laufe der folgenden Jahre sind für
mich dann die religiösen Themen irgendwie von alleine immer mehr aus
dem Blickfeld geraten. Wahrscheinlich war das eine ganz normale
'Schutzreaktion', weil ich mit dem Thema einfach nicht klar gekommen
bin.
15. Der klare Nachthimmel bringt den Stein ins Rollen
Ich habe praktisch all die vergangenen Jahre jeweils im Herbst einen
Kurzurlaub auf dem Lande gemacht. Dort, in der Heimat funkeln die
Sterne nachts natürlich noch viel heller und schöner als in der Stadt.
Ich sehe zum Himmel und versuche, mich zu erinnern, was wir da gelernt
hatten: es gibt die Planeten, die mit unserer Erde um die Sonne kreisen,
dann gibt's die Sterne und die Milchstrasse. Die Sterne und die Milch-
strasse gehören zu unserer Galaxie. Aber wie war das: wie viele Sterne
sind das denn und wie viele Galaxien gibt's überhaupt? Weil ich in diesen
Dingen nicht mehr ganz so sattelfest war, habe ich mir also ein wenig
Literatur besorgt u.a. hatte Rudolf Kippenhahn eine 'Kosmologie für die
Westentasche' im Angebot und Harald Fritsch beschäftigt sich mit dem
Thema 'Vom Urknall zum Zerfall'.
Das sind sehr interessante Bücher, in denen die Zusammenhänge auch für
den Laien verständlich dargestellt sind. Eine Sache, die man natürlich
auch schon mal irgend wo gehört hatte, ist mir aber nicht mehr aus dem
Sinn gegangen: irgendwann in sehr ferner Zukunft, in einigen Milliarden
Jahren, wird unsere Sonne zu einem Roten Riesen. Dabei wird die Erde
dann sozusagen von der Sonne verschluckt. Spätestens zu diesem
Zeitpunkt, wahrscheinlich aber schon sehr sehr viel früher wird auf
der Erde das gesamte Leben erloschen sein.
Man muss wissen, dass ich für meinen Computer (der mich immer mit
einem mehr oder weniger witzigen Spruch begrüsst) mindestens vier
Festplatten im Einsatz habe. Ich möchte damit einem Daten-GAU
zuvorkommen, denn im Moment wäre das mehr als unangenehm, wenn die
Daten plötzlich alle weg wären. Ich habe dann bei Gelegenheit,
mehr scherzhaft, geäussert, dass da aber wohl irgend etwas ein
wenig merkwürdig ist, denn wenn das mit dem Roten Riesen dereinst
eintritt, dann ist es ja eigentlich egal, ob ich heute 1 oder 4
oder irgend eine andere Anzahl von Festplatten habe. Dieses Szenario
hat mich nicht mehr losgelassen. Hin und wieder hatte ich den Roten
Riesen vor meinen Augen und ich begann, mich ganz allgemein zu fragen,
nach welchen Kriterien ich im Hier und Heute eigentlich handeln sollte.
Zumindest scheint es so zu sein, dass die Handlungen, die ich heute
mache, in sehr ferner Zukunft möglicherweise gar keine Bedeutung
haben. Man könnte auch sagen, dass es völlig egal ist, was ich mache,
die Sonne wird dann sowieso alles verbrennen. O.k., auf morgen oder
übermorgen werden meine Handlungen heute wahrscheinlich Einfluss
haben, so dass es natürlich im Moment gar nicht egal ist, was ich
tue. Aber der Mensch sucht ja gerne nach endgültigen Antworten
und dort wird's dann schon schwieriger.
Diese Zusammenhänge haben mich also nachdenklich gemacht. Müssen sie
ja auch. Denn da wird einem jahrelang gepredigt, dass es absolut
wichtig ist, sich so oder so zu verhalten und dann stellt sich am Ende
heraus, dass es doch völlig egal ist? Das kann doch nicht sein! Ja,
ich weiss, ein gläubiger Mensch ist schnell mit einer Antwort zur Hand,
die mich aber, wie nicht anders zu erwarten in keiner Weise beruhigen
kann. Dazu werde ich später noch kommen. Vielleicht können wir daraus
aber auch dies lernen: es hat keinen Sinn, seine Handlungen auf die
Ewigkeit auszurichten, sondern man kann nur zusehen im Hier und Heute
vernünftig und verantwortungsbewusst zu handeln, mehr geht nicht.
Was dann genau 'vernünftig' bzw. 'verantwortungsbewusst' heisst, wäre
dabei noch zu klären.
Im Moment hat das Ganze dazu geführt, dass ich mir das eine oder andere
philosphische Buch gekauft habe, um zu erfahren, was andere Menschen
zu diesen Themen zu sagen hätten. Da waren interessante Aspekte dabei
und ich habe natürlich nicht alles bis ins letzte Detail verstanden
aber von einer ganz anderen Seite ist plötzlich was geschehen.
Ich habe ein paar Bücher entdeckt, die sich recht kritisch mit
religiösen Themen befassen. Das hat mich jetzt sehr interessiert.
Zuerst ist mir Paul Schulz aufgefallen, der wegen seiner Ansichten
aus der evangelischen Kirche verbannt wurde. Es ist sehr interessant,
sein Buch 'Die Kraft des Atheismus' zu lesen.
Als ich ein Kind war, hatten meine Großeltern ein Bild von Martin
Luther an der Wand hängen. Ein andächtiger Mann mit einer Bibel in
der Hand. Ich hatte ihn als aufrechten, tapferen Mann in Erinnerung,
der sich vor allem gegen den Ablasshandel stark gemacht hatte. Und
nachdem er sozusagen mein höchster oder erster Kirchenvertreter war,
habe ich nichts Schlechtes über ihn gedacht. Vielleicht habe ich mich
auch viel zu wenig um die Dinge gekümmert aber bei Paul Schulz lese
ich, was Luther auch gesagt hat:
...
Wie ich dazumal geschrieben habe, so schreibe ich noch. Der hals-
starrigen, verstockten Bauern erbarme sich niemand, sondern haue,
steche, würge, schlage drein als unter tolle Hunde
...
Alleine dieser Satz war es Wert, das Buch von Schulz zu lesen.
Ich war entsetzt: rein zufällig bin ich auch auf dem Bauernhof
aufgewachsen aber völlig unabhängig davon sind die Äusserungen
Luthers völlig inakzeptabel. Er hat im Ernst gesagt, man solle
Menschen hauen, stechen, würgen und schlagen. Ein Mensch mit
solchen Motiven kann niemals mein Vorbild sein, das ist doch
klar. Und es soll mir keiner kommen, damals waren die Zeiten
anders. Natürlich waren die Zeiten anders. Und wenn es denn
so wäre, dass die Ideale von damals heute nicht mehr gelten, na
dann, nur zu. Vielleicht können wir dann die restlichen
Aussagen auch gleich auf dem Scheiterhaufen mit verbrennen, weil
die ja heute möglicherweise auch schon längst überholt sind!
Schulz bringt in die biblischen Geschichten ganz neue Aspekte ein.
Ja, nach allem, was man weiss, hat es wohl einen Jesus gegeben
aber dieser tatsächliche Jesus hatte kaum etwas zu tun mit dem
Jesus, wie er uns heute präsentiert wird. Im Kern geht Schulz
sogar soweit, zu postulieren, dass Jesus seine Ethik ohne Gott
entwickelt hat. Der starke Gottesbezug käme gar nicht von Jesus
selbst, sondern sei erst später hinzugedichtet worden. Schulz
geht dabei insbesondere auf das Thema 'verba ipsissima' ein, also
die 'höchsteigenen/persönlichen Worte' die Jesus geprochen haben
soll, wie das die Jesusforscher nennen. Wirklich ein spannendes Buch!
16. Endlich: ein Mann spricht mir 'aus der Seele'
War das Buch von Schulz schon sehr interessant, so habe ich ein
bisschen später ein weiteres Buch entdeckt: 'Der Gotteswahn' von
Richard Dawkins. Andere Leute mögen sich über Dawkins empören oder
seine Aussagen für übertrieben halten. Ich habe jedoch hocherfreut
festgestellt, dass ich mit praktisch allen meinen Bedenken und Sorgen,
die ich bisher hatte, was meinen Glauben angeht, nicht allein dastehe.
Nein, Dawkins spricht die Probleme glasklar an und kommt zu genau
den Schlüssen, die ich alleine kaum gewagt hatte zuende zu denken.
Ausserdem spricht er noch viele weitere Punkte an, die mir noch gar
nicht in den Sinn gekommen waren.
Natürlich kann auch Dawkins weder Gott beweisen noch ihn widerlegen
aber was er macht, ist, die Vernunft, den Forscher, den klaren
Menschenverstand in den Vordergund zu rücken und die Dinge immer
wieder kritisch zu hinterfragen. Genau damit hat es die Menschheit
bisher geschafft, viele offene Fragen zu klären und Antworten zu
finden, die früher völlig unvorstellbar waren.
Was waren das für überflüssigen Kämpfe um das geo- bzw. heliozentrische
Weltbild? Selbst als völlig klar war, was Sache ist, hat die Kirche
sich standhaft geweigert, der Vernunft zu folgen. Das kann man doch
nicht gut heissen!
Ich will und kann hier nicht Dawkins' Aussagen alle wiederholen aber
bei konsequentem Einsatz der Vernunft scheint es tatsächlich so zu
sein, dass sich alles, was mit Religion zusammenhängt ganz 'natürlich'
erklären lässt. D.h. eine Religion ist eben nicht irgend etwas von
einem 'echten Gott' Eingesetztes, vielleicht aufgrund irgend einer
Offenbarung, die einige Auserwählte erlebt haben, sondern unter
bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen können sich auf einmal
religiöse Verhaltensweisen herausbilden. Ich erwähne da nur die von
Dawkins erwähnten 'Cargo-Kulte'. Oder es geraten sogar ganz spontan
irgendwelche zufälligen Gerüchte in Umlauf. Siehe mein Beispiel oben
von der 'explodierenden Gerüchteküche'.
Langer Rede kurzer Sinn: ich kann wirklich sagen, dass Dawkins mich
mit seinem Buch 'erlöst' hat. Das mag für einen gläubigen Menschen
sonderbar oder gar widerwärtig klingen. Bloss, das Witzige an der Sache
ist ja, dass ich auch einmal gläubig war, sehr sogar. Nur konnte ich
halt wahrscheinlich 'die paar Ungereimtheiten', die mir so aufgefallen
waren, nicht einfach ignorieren, wie das evtl. andere Menschen tun,
sondern ich wollte wissen, was wirklich los ist. Durch dieses
konsequente Nachfragen bin ich aber auf immer mehr Widersprüche
gestossen, die ich nicht aufklären konnte. Zum Schluss blieb also
nur der radikale Bruch übrig: alles, was man mir über Gott und Jesus
beibringen wollte, entbehrt jeglicher Grundlage und hat mit userer
Welt nichts zu tun.
17. Ein paar weitere Randbemerkungen
Ich möchte hier einfach noch ein paar weitere Aspekte herausgreifen,
die mir so durch den Kopf gehen bzw. gegangen sind. Und sicher könnte
man zu dem Thema noch viel mehr sagen:
1. Wie ist das eigentlich mit all den anderen Religionen?
Wenn man es nüchtern betrachtet, behauptet doch jede von
sich, dass sie es richtig macht. Die alten Griechen waren
von ihren Göttern überzeugt, ebenso die Germanen von den
ihrigen. Von aussen betrachtet, wird man sagen müssen, dass
es nicht so sein kann, dass sie alle gleichzeitig Recht
haben, vor allem, wenn sie sich gegenseitig widersprechen.
Vor dem Hinterund der 'natürlichen' Entstehung von
Religionen, wie oben dargelegt, löst sich das Rätsel einfach
auf: keine hat 'die Weisheit mit dem Löffel gefressen',
sondern alle sind sie Menschenwerk und kommen eben nicht
von einem 'Gott' oder sonstigen übernatürlichen Wesen.
2. Ich habe oben über die Fragen aus den beiden Kategorien 1
und 2 geschrieben. Viele der Fragen aus Kategorie 1
lassen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt durch die
Wissenschaft klären, viele weitere auch nicht aber
einige davon vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Fragen aus Kategorie 2 scheinen für den Menschen aber
prinzipiell nicht beantwortbar. Die Religion ist schon
immer schnell bei der Hand gewesen, sich der nicht
beantworbaren Fragen aus Kategorie 1 zu bemächtigen.
Dummerweise können im Laufe der Zeit aber im allgemeinen
immer weitere Fragen aus Kategorie 1 durch die Wissenschaft
geklärt werden. Dies macht die Religion an dieser Stelle
dann sofort überflüssig. Wenn Religion also kein Lücken-
büsser sein will, tut sie gut daran, sich eben NICHT
um diesen Typ von Fragen zu kümmern. Wenn aber andererseits
eine Religion sich hinstellt und erklärt: seht her, die
Fragen aus Kategorie 2 sind durch Menschen nicht lösbar.
Aber es gibt einen Ausweg. Die Erklärung ist Gott!
Dann erklärt das aber in Wirklichkeit gar nichts. Denn
dann steht anstelle der Welt halt einfach Gott so im Raum
(über dessen Eigenschaften wir noch gar nicht geredet haben)
und niemand kann über diesen Gott etwas Erhellendes
beitragen. Insbesondere wird niemand sagen können, wo denn
dieser Gott dann hergekommen ist. Das führt einfach nicht
weiter. Das ist so, als wolle man in der Physik eine
unbekannte Grösse ermitteln. Man möchte gerne den
numerischen Wert wissen, also ob es 20 oder 30 Meter sind
z.B.. Sagen wir, wir hätten die Grösse mit x bezeichnet.
Dann sind wir also mangels weiterer Informationen nur so
schlau, dass wir wissen wollen, wie gross x denn
schliesslich ist. Wenn wir aber keine weitere Information
haben, wissen wir eben nicht, ob es 20 oder 30 Meter oder noch
ein ganz anderer Wert ist. Jetzt aber kommt ein Schlaumeier
daher und sagt: ich weiss, wie gross x ist. x ist nämlich
genau so gross wie meine super tolle magische Grösse Y, die
ich schon lange vom Namen her kenne. Die heisst also Y,
gross geschrieben und wenn ich hinschreibe: x = Y, dann seht
ihr ja, wie gross x ist. Wo ist also euer Problem?
Solange ich nicht an Halluzinationen leide, die
mir einen Gott erscheinen lassen oder solange mir echt
der wahre Gott nicht gegenübersteht, muss ich ehrlicherweise
einen Schritt vorher stehenbleiben und sagen: aha, sehr
interessant, da sind wir also, wir und unser gesamter
Kosmos. Es wäre sehr interessant, zu wissen, warum das
alles so ist, ich wüsste gerne, ob das alles eine
tiefere Ursache oder einen bestimmten Grund oder Zweck
hat aber leider kann ich da nichts erkennen. Und so
werde ich wohl staunend stehen bleiben müssen.
3. Damit das Bild nicht ganz so trostlos aussieht: ich habe
oben erwähnt, dass ich die Religion als Kindesmisshandlung
erlebt habe. Das ist ziemlich hart formuliert und ich werde
das auch nicht zurücknehmen aber es gibt natürlich ein paar
Aspekte 'meiner' Religion, die durchaus in Ordnung sind.
Das sind z.B. all die Bereiche, wo es um Nächstenliebe und
vernünftige Verhaltensregeln für den Umgang der Menschen
miteinander geht. Es gibt sicher Menschen, die sich freuen,
wenn sich in schweren Zeiten ein Seelsorger um sie kümmert.
Und aus gutem Grund hat der Gesetzgeber etliche 'Regeln'
erlassen, damit der ganze Laden einigermassen zivilisiert
abläuft. Wie Dawkins aber bemerkt, sind das alles Sachen,
die ein ganz normaler Humanismus auch leisten kann, die
man also ohne den völlig unverständlichen religiösen
Überbau genausogut haben kann. Ich habe mich z.B. dazu
entschlossen, einen Grossteil meiner Kirchensteuer dem
Weissen Ring zu spenden. Bei dieser Organisation kann ich
annehmen, dass sie z.B. keine riesigen Gebäude errichtet,
in die am Sonntag eh keiner hineingeht und trotzdem denke
ich, dass ich damit für in Not geratene Menschen einen
kleinen Beitrag leisten kann.
4. Ich hatte mich zuletzt noch lustig gemacht: nach Aussagen
des Papstes galt oder gilt die evangelische Kirche ja
sowieso nur noch als etwas grössere Sekte. Und der Austritt
aus einer Sekte sollte doch eh das Vernünftigste sein, was
man machen kann. Nach kurzem Nachdenken bin ich aber auf
ein grundsätzliches Problem gestossen: offenbar sind sich
katholische und evangelische Theologen da in bestimmten
zentralen Punkten völlig unseins. Das gemeinsame Abendmahl
ist da wohl nur ein Punkt unter vielen. Luther hatte damals
massive Probleme mit der Kirche. Ein zentraler Kritikpunkt
war wohl der Ablasshandel. Seiner diesbezüglichen Kritik
kann man nur zustimmen. Die Kirchenoberen damals hatten
es offenbar übertrieben. Der Ablasshandel konnte nicht
aus der Bibel oder aus sonstigen Schriften abgeleitet
werden, d.h. es ging also auf beiden Seiten eigentlich um
eher weltliche Dinge und nicht um göttliche Vorgaben.
Völlig anders sieht es aber mit so Dingen wie Fegefeuer
oder Vorhölle aus. Ich denke als evangelischer Christ
gab's für mich so etwas nicht. Wenn ich meine Sünden
bereue, dann wird mich Gott am Jüngsten Tag zu sich nehmen
und alles ist gut. Die Katholiken haben es da schon
schwerer, z.B. insbesondere ungetaufte Kinder. Die sind ja
mitunter gar nicht auf dem normalen Friedhof begraben
worden. Sowas kennen die evangelischen Christen, denke ich,
nicht.
Das Problem an der Sache ist aber dies: für einen guten
Katholiken sind Fegefeuer und Vorhölle real, also von Gott
gegeben. Kein Mensch kann sich über dieses Gesetz stellen.
Jetzt kommt Luther und versucht aber eben dieses. Dann
gibt's eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder die
Sprüche Luthers hatten einfach keine Wirkung, denn als
Mensch kann man nicht einfach göttliches Gesetz ändern
oder: wenn evangelische Christen annehmen und wissen, dass
es so einen Schmarrn wie Fegefeuer und Vorhölle nicht
gibt, weil Gott das nie eingerichtet haben kann, dann
haben die Katholiken auch kein Fegefeuer und keine Vorhölle!
Nachdem sie diese Einrichtungen aber lange Zeit gepflegt
haben, ist hier also schon wieder ein schöner Widerspruch
vorhanden. Ah, wenn ich mich jetzt recht erinnere, hat der
Papst jüngst die Vorhölle doch abgeschafft. Sie war ja wohl
auch nur von einem unfehlbaren Vorgänger zuerst eingerichtet
worden. Aber nachdem der Papst ja eh irgendwo zwischen
Himmel und Erde angesiedelt ist, wird das schon gehen so.
5. Wofür brauche ich überhaupt eine Religion? Mit welcher
Motivation will man mir eine Religion beibringen? Geht es
um mich oder um den 'Missionar' oder um noch ganz andere,
grössere Zusammenhänge? Im realen Leben kann mir
normale Mitmenschlichkeit und im weitesten Sinne die
Wissenschaft am besten helfen. Oder auch anders rum: ich
glaube, dass ich anderen am besten helfen kann, wenn ich
mich ihnen zuwende und im 'Notfall' mit meiner ganzen Kraft
und Intelligenz versuche, zu helfen. Was nützt es denn, wenn
etwa der Computer einer Bekannten streikt und wir anfangen
zu beten? Ausser, dass sie sich vielleicht nicht ganz so
im Stich gelassen fühlt, wenn wir beide das Schicksal
beklagen, wird es aber nichts bringen. Das Einzige, was hier
helfen kann (wenn es nicht bereits andere tun), sind meine
Computerkenntnisse und mein tatkräftiger Einsatz, das Ding
wieder zum Laufen zu bringen, sonst nichts!
Ein Jenseits kenne ich nicht. Genauso gut könnte ich 100000
andere absurde Szenarian ersinnen, vor denen ich erschrecken
kann, die aber alle gleichermassen unbeweisbar sind.
Vielleicht bin ich ja jedesmal, wenn ich schlafe, irgendwie
im (schrecklichen) Jenseits (bis auf die Traumphasen, an die
ich mich evtl. erinnere) und merke es im Wachzustand
lediglich nicht. Ich könnte z.B. ganz plump behaupten, nur
wenn ich an jedem Tag mindestens 12 Kilometer weit gelaufen
bin und dafür nicht über eine Stunde gebraucht habe, habe ich
mich dafür qualifiziert, dem (schrecklichen) nächtlichen
Jenseits zu entrinnen. Und niemand könnte es widerlegen!
Jeder normale Mensch wird mich (zu Recht) für verrückt
halten, wenn ich ernsthaft so etwas behaupte. Nur weil
man meint, unsere religiösen Lehren hätten einen ganz
besonderen, unantastbaren Ursprung, schalten die Menschen
anscheinend ihr Gehirn aus und akzeptieren den grössten
Blödsinn.
Wenn der 'Missionar' also keine logischen Gründe nennen kann
für seine Mission, dann soll er sich doch vornehm zurückziehen
und nicht versuchen, mich mit seinen (Horror-)Visionen fertig
zu machen. Das wäre fair. Im Idealfall würde ich vielleicht
erwarten, dass er zu mir kommt und sagt: sieh mal, ich glaube,
die Dinge liegen so und so. Ich kann das aber nicht beweisen.
Es gibt zwar viele Schriften, die darauf hinweisen, dass ich
wirklich Recht haben könnte, aber ganz sicher ist das nicht.
Was hälts denn Du davon? Wollen wir vielleicht mal drüber
reden? Oder wie ist denn Deine Sicht der Dinge? Könnte es
vielleicht sein, dass ich total falsch liege? Wie könnten wir
denn am besten weitermachen?
Apropos 'Horrorvorstellungen' des 'Missionars'. Soweit ich
das verstanden haben, beziehen etwa die Christen alle ihre
Aussagen aus der Bibel. Aber soweit ich das auch mitbekommen
habe, handelt es sich bei der Bibel nicht um ein in sich
gechlossenes, konsistentes Werk, wie etwa eine mathematische
oder andere wissenschaftliche Abhandlung mit exakter
'Tatbestandsaufnahme' oder akribischer Beweisführung,
sondern es gibt sogar verschiedene Varianten/Ausführungen
und ausserdem viele verschiedene Autoren. Der tatsächliche
historische Bezug ist, glaube ich, auch nicht in jedem Fall
völlig unumstritten. Dann ist es wohl auch so, dass die
schriftliche Niederlegung nicht immer unmittelbar nach den
(behaupteten) Geschehnissen erfolgte, sondern z.T. viel
später, manchmal vielleicht erst Jahre später. Auch wenn
heutige Bibelforscher mit aller Kraft nach dem suchen,
was man als die 'Originalversion' der jeweiligen
Geschehnisse bezeichnen könnte, d.h. sich auf eine Version
einigen, die allem Anschein nach mit höchster Wahrschein-
lichkeit Vorlage/Ausganspunkt für sämtliche späteren
Schriftstücke war, dann hätte man damit immer noch lange
keinerlei Beweis dafür, dass sich ein bestimmtes Geschehnis
tatsächlich so zugetragen hat. Bei wissenschaftlicher Heran-
gehensweise sagt EINE 'Messung' gar nichts aus. Erst wenn
auch anderer Forscher das gleiche Phänomen reproduzieren
können, man sich also von unabhäniger Seite überzeugen kann
von den Umständen, kann man beginnen, an die neue
'Erscheinung' zu glauben. Alles andere ist voreilig, leicht-
sinnig oder Wunschdenken und hat mit vernünftigem Arbeiten
nichts zu tun! Das Problem bei vielen der biblischen
Aussagen ist aber gerade, dass es ganz bestimmte einmalige
Ereignisse gewesen sein sollen, die sich natürlich nicht
so ohne weiteres wiederholen lassen. Gleichzeitig sind die
'Nebenwirkungen' inzwischen nicht mehr auffindbar, so dass
es praktisch unmöglich ist, wissenschaftliche Belege zu
finden. Da hilft dann eben nur noch der reine Glaube. Wenn
das jemand wider alle Vernunft machen will, kann man dazu
eben nichts mehr sagen.
6. Warum wird 'die frohe Botschaft' so versteckt? Was mich
auch schon immer verblüfft hat, ist der Umstand, dass sich
Gott offenbar einen Heidenspass daraus macht, sich undeutlich
auszudrücken. Wenn es ihm als Chef wirklich wichtig ist,
dass wir das hier alles richtig machen, dann darf er seine
Ansagen doch um Himmels Willen nicht so machen, wie das
angeblich geschehen ist. Analphabeten oder ganz einfache
Menschen werden mit seinen Geboten konfrontiert, die diese
dann an alle anderen Menschen weitervermitteln sollen.
Wenn es wirklich so ist, dass die Gebote und dann später
die gesamte Aufführung mit Jesus für alle Menschen eine so
zentrale Rolle spielen, dann muss ich mich als Chef schon
ein wenig intensiver mit der Materie und meinem Publikum
befassen. Vor allem darf ich nicht warten, bis schon viele
Menschen OHNE dieses Wissen gelebt haben und auch wieder
gestorben sind. Was soll mit diesen armen Kreaturen
eigentlich geschehen? Das ganze ist eine Farce.
7. Die Notwendigkeit der christlichen Religion ergibt sich aus
ihr selber: erst wird ein Jenseits postuliert, dann die
Erbsünde. Ausserdem kann man sich als Mensch natürlich
einreden lassen, es gebe so etwas wie Schicksal, Vor-
bestimmung oder Göttliche Vorsehung (was aber in der
Praxis nicht vom reinen Zufall zu unterscheiden ist). Dies
ist eine hervorragende Konstellation, an der ein Mensch
automatisch zerbrechen muss, wenn nicht göttliche Hilfe
gerufen wird. Und so geschieht es dann auch.
Würden wir von Anfang an unser Hirn einschalten, dann
müssten wir schon beim Jenseits protestieren: nach allem,
was die Hirnforschung heute weiss, macht es keinen Sinn, von
einer Seele zu reden. D.h. wir haben nur genau das eine Leben
hier, wir brauchen keinen grossen Erlöser, der unser Schicksal
im Jenseits managed. Das mit der Erbsünde ist bei genauerem
Hinsehen derart pervers, dass man drüber lachen müsste, wenn's
nicht so traurig wäre. Wie soll die sich denn im täglichen
Leben auswirken? Es reicht doch völlig, wenn ich nach den
bürgerlichen Gesetzen lebe und versuche, mit meinen Mit-
menschen gut auszukommen. Mehr ist doch wirklich nicht nötig!
Also: anstatt nur ständig zu jammern und auf die Erlösung im
Jenseits zu hoffen, ist es 1000 mal sinnvoller, das einzige
Leben, welches wir hier haben, anzunehmen und es in der Tat als
grossartige Chance zu sehen! Ja, das ist hart: ich glaube
inzwischen, dass die theologische Basis des christlichen
Glaubens in Wirklichkeit gar nicht existiert bzw. lediglich
ein riesiger Irrtum oder zum Teil auch Schwindel ist. Das
ist eine krasse Aussage aber das scheint mir die einzig
vernünftige Schlussfolgerung!
18. Mein Schlusswort
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich jegliche Form von Religion als
von Menschen gemacht betrachte. Ich glaube nicht an Wunder, d.h. an echte
Verletzungen der Naturgesetze. Astronomen berichten uns, dass sich unser
Kosmos praktisch von einem einzigen winzigen punktförmigen
Zustand aus zu dem entwickelt hat, was wir heute sehen. Die komplette
unbelebte aber auch die belebte Natur einschliesslich des Menschen hat
sich sozusagen zufällig, im freien Spiel der Kräfte entwickelt. Es hat
zu keiner Zeit irgend einen sonderbaren externen Eingriff gegeben. Es
hat niemals und zu keiner Zeit eine Jungfrau ein Kind bekommen. Die
Naturgesetze haben das Geschehen bestimmt und bestimmen es auch in
Zukunft. Natürlich gibt es viele offene Fragen aber es gibt keinen
Grund an dem zu zweifeln, was man sieht. Es gibt allerdings viele
Gründe, zögerlich zu sein, Sachen zu glauben, die völlig absurd sind.
Religion ist als solche zwar nicht als Hirngespinst abzutun, weil es
sie ja offenbar gibt aber die Inhalte der Religion haben nicht den
göttlichen Ursprung, der angeblich dahinter steht. Vielmehr ist es
viel naheliegender, dass die Religion von Menschen gemacht ist. Ich
bin daher vielmehr folgender Meinung:
Religion ist das gemeinschaftlich gepflegte Kultivieren und Bewahren
von Unwissenheit, Halbwahrheiten und z.T. recht abwegigen Überlieferungen
und Ritualen, um gewisse Herausforderungen des Lebens (vermeintlich)
besser meistern zu können. Die konkreten Inhalte der Religion sind
mitunter durch nichts vom Aberglauben zu unterscheiden und es ist reiner
Zufall, dass nicht der eine oder andere Aberglaube Bestandteil der
Religion geworden ist bzw. Teile der Religion nicht zum Aberglauben
degradiert wurden. Möglicherweise hängt das Entstehen von Religion einfach
damit zusammen, dass man viele Fragen der Kategorie 1 nicht beantworten
konnte (und die Fragen der Kategorie 2 erst recht nicht), man aber
dennoch nach Antworten gesucht und schliesslich auch irgend welche
gegeben hat. Etliche der Fragen aus Kategorie 1 können heute durch
die Wissenschaft beantwortet werden, so dass dort die alten Antworten
der Religion keine Bedeutung mehr haben. Einzig die Fragen der
Kategorie 2 bleiben wohl für immer ungeklärt und Menschen, die
diesen Umstand nicht wahr haben wollen, sich also sehnlichst eine
Antwort wünschen, geben sich diese, indem sie sich in ihre selbst-
gemachte Religion flüchten. Ich gehöre nicht (mehr) zu diesen Menschen.
19. Ein paar Literaturangaben
Dawkins Richard, Der Gotteswahn, Berlin 2007
Erb Jörg, DER GUTE HIRTE, 'Schulbuch': Eine Einübung in den
christlichen Glauben und in das christliche Leben, Kassel 1963
Fritsch Harald, Vom Urknall zum Zerfall, München 1987, 2002
Hoffmann Heinrich, Der Struwwelpeter, Hamburg
Kippenhahn Rudolf, Kosmologie für die Westentasche, München 2003
Pauen Michael, Was ist der Mensch, München 2007
Schulz Paul, Codex Atheos 'Die Kraft des Atheismus', Cuxhaven 2006
Zink Jörg, Das Alte Testament, Stuttgart 1972
Zink Jörg, Das Neue Testament, Stuttgart 1975
Rudolf Schubert,
rudolf@muc.de ,
Mi 20. Mär 08:34:33 CET 2024